Frau Hussain und Frau Graue referieren gemeinsam am 14. August zum Thema „Unternehmensübergreifendes kollaboratives Arbeiten – Anforderungen an Rechtsabteilungen“ und vermitteln uns einen Einblick in das Arbeitsumfeld der Unternehmensjuristen.

Zimmermann: Frau Graue, Sie halten zusammen mit Frau Hussain einen Vortrag zum Thema „Unternehmensübergreifendes kollaboratives Arbeiten – Anforderungen an Rechtsabteilungen“. Welche wegweisenden Neuerungen wird es in den nächsten Jahren diesbezüglich aus ihrer Sicht im juristischen Arbeitsumfeld geben?

Graue: Viele Rechtsabteilungen befinden sich noch im Dornröschen-Schlaf, wenn es um Themen wie Legal Tech und kollaboratives Arbeiten geht. Es gibt bereits viele Tools, die in anderen Abteilungen implementiert und sehr erfolgreich verwendet werden. Ob kleines oder großes Unternehmen: Sehr viele Unternehmen verfügen bereits Lizenzen für spannende Tools, die auch das juristische Arbeitsumfeld unfassbar bereichern können. Die Herausforderungen an uns Juristen wird es sein, uns diesen Tools gegenüber offen und neugierig zu zeigen und unsere Arbeitsweise anzupassen. Die Covid-19 Pandemie wird sicherlich zu einer Beschleunigung dieses Prozesses des Aufwachens aus dem Dornröschen-Schlaf beitragen.

Zimmermann: Welche Gedanken haben Sie, Frau Hussain, dazu: In welcher Weise können sich Rechtsabteilungen und Rechtsanwaltskanzleien darauf vorbereiten?

Hussain: Rechtsabteilungen müssen ihr Wissen hinsichtlich Tools für die Zusammenarbeit auch inhaltlich erweitern und die Tools ihrer Mandanten verstehen. Dabei geht es insbesondere darum auch von Anfang an die Chancen und Risiken des jeweiligen Tools zu bewerten und mit den Mandanten an einer gemeinsamen effektiven Kollaboration zu arbeiten. Insbesondere hoffe ich, dass die Ausbildung junger Juristen Legal Tech in Zukunft stärker berücksichtigt. Denn neben der klassischen juristischen Ausbildung ist es maßgeblich, dass die Nutzung von Legal Tech-Tools in den Vordergrund der Kollaboration und Zusammenarbeit gestellt wird. Rechtsanwaltskanzleien haben einen Vorteil, da sie sich meist schneller und intensiver mit Tools auseinandersetzen um ihren Mandanten Möglichkeiten zu bieten. Dabei ist aber, aus meiner Sicht, zu beachten, dass nicht jedes Tools zu jedem Mandanten passt. Es ist sicherlich Maßarbeit an der einen oder anderen Stelle erforderlich.

Zimmermann: Die Zusammenarbeit von Unternehmensrechtsabteilungen mit externen Kanzleien ist unverzichtbar. Welche Anforderungen stellen Sie, Frau Graue aus Sicht eines Start-Ups an Kanzleien, mit denen Sie kooperieren?

Graue: Als In-House Counsel in einem Start-Up brauche ich praxisnahe Beratung auf Zuruf. Die Welt eines jungen Start-Ups entwickelt sich mit einer unfassbaren Geschwindigkeit – dort sind langwierige Ausführungen, auch wenn sie juristisch noch so korrekt und allumfassend sein mögen, fehl am Platz. Daher greife ich gerne zum Telefonhörer, wenn ich externe Beratung benötige. Da wir in 10 Ländern agieren, ist es zudem wichtig ein internationales Netzwerk an Beratern aufzubauen, die ich einfach und unkompliziert erreichen kann und die sich darauf einlassen, welche Arbeitsweise ich von Ihnen erwarte – diese ist eine komplett andere Beratungsweise als die in einem Konzern. Dort hatte ich zuvor die Anforderung erlebt, dass die Beratung eher auf dem Schriftwege und in ausführlichen Gutachten oder Stellungnahmen benötigt wird. Es sind zwei völlig unterschiedliche Welten.

Zimmermann: Frau Hussain, gibt es dazu Unterschiede aus der Perspektive einer großen Konzernrechtsabteilung?

Hussain: Sicherlich sind die Anforderungen an Kollaborationen in Rechtsabteilungen von Großkonzernen andere. Denn neben der Internationalität, sind auch die Vielfältigkeit und Komplexität der Themen Aspekte, die im Rahmen der Zusammenarbeit berücksichtigt werden müssen. Die von Anne angesprochenen Stellungnahmen und Gutachten sind in einem Großkonzern unverzichtbar, da es sich oft um Sachverhalte mit einer hohen Komplexität, vielen beteiligten Parteien, also zum Beispiel verschiedene technische Fachbereiche, und einem kleinen Baustein eines sehr großen Projektes, handelt. Es ist maßgeblich, dass der begutachtete Sachverhalt klar und deutlich niedergelegt ist und die dazugehörige rechtliche Einschätzung sich in Schriftform anschließt. Denn kleinste Änderungen im Sachverhalt können zu erheblichen Änderungen in der rechtlichen Einschätzung führen. Die Mandanten können aber nicht immer richtig einschätzen, dass der Teufel im Detail liegt.
Im Ergebnis kommt es aber aus meiner Sicht auf eines an: eine effektive Zusammenarbeit mit den involvierten Kolleginnen und Kollegen.

Zimmermann: Welchen Einfluss hat Legal Tech bereits in ihrem juristischen Arbeitsalltag?
Und welche konkreten Änderungen kommen da in nächster Zeit auf Sie zu?

Graue: Wir arbeiten aktuell noch komplett ohne „Legal-Tech“ Lösungen. Wir setzen uns aktuell vermehrt mit existierenden Tools in unserem Unternehmen um und versuchen diese für rechtliche Zwecke einzusetzen. Gerade haben wir das Tool „Notion“ eingeführt und in kurzer Zeit konnte ich hiermit selbst ein „Ticketing-System“ für Vertragsprüfungen erstellen. Ein spannendes Projekt, indem ich meine eigenen Vorstellungen direkt umsetzen konnte und mir somit ein „kleines Legal-Tech Projekt“ bauen konnte!
Hussain: Wir setzen bereits jetzt ein Tool für Geheimhaltungsvereinbarungen ein. Es hilft unseren internen Mandanten schnell standardisierte Dokumente zu erstellen und bei Einzelfragen auf uns zuzukommen. Aktuell arbeiten wir mit unserer Digitalisierungsabteilung an einem Chatbot für Standardfragen rum um das Thema „Legal Hold“. Es hilft uns für die Mandaten eine 24/7-Beratung bei Standardfragen sicherzustellen und immer persönlich für die Kollegen da zu sein, wenn es darüberhinausgehende Fragen gibt. Dies hilft uns effizienter zu sein und intensiver mit unseren Mandanten zu kollaborieren.

Zimmermann: Frau Graue, was waren für Sie die wesentlichen Entscheidungsgründe dafür, als Unternehmensjuristin in der Mobilitätsbranche zu arbeiten?
Was reizt Sie an den Aufgaben und der Branche besonders?

Graue: Die Mobilitätsindustrie befindet sich im Wandel – das reizt mich. Während ich als Unternehmensjuristin für die AUDI AG tätig war, habe ich mich schwerpunktmäßig mit der Beratung der Elektromobilität beschäftigt. Der Wechsel zu dem Start-Up TIER Mobility, welches es sich zum Ziel gesetzt hat, die Mobilität dauerhaft und nachhaltig durch Elektromobilität zu verändern, war der logische Schritt, um noch tiefere Erfahrungen in dieser schnelllebigen Branche zu sammeln. Ich genieße es an Themen der Zukunft zu arbeiten und die Möglichkeit zu haben über juristische Themen hinaus zu blicken und den Wandel einer so großen Branche hautnah mitzuerleben.

Zimmermann: Wie kam es bei Ihnen, Frau Hussain, dazu, direkt als Unternehmensjuristin in den Beruf einzusteigen?
Was verbinden Sie mit der Tätigkeit bei einem Automobilhersteller?

Hussain: Für mich ist der direkte Kontakt mit den Mandanten sehr wichtig. Zudem handelt es sich bei einem Automobilhersteller um ein Unternehmen mit vielen komplexen und unterschiedlichen Themenfeldern. Das faszinierte mich von Beginn an. Es ist eine Branche, die sich im Umbruch befindet. Bei solchen Umbrüchen direkt an vorderster Stelle mit zu beraten ist für mich eine einmalige Chance.
Als junge Rechtsanwältin berät man internationale Themen und arbeitet über den Tellerrand der eigenen Rechtsabteilung hinaus mit den Fachbereichen, anderen Konzerngesellschaften und anderen Kollegen zusammen, von denen man immer viel lernen kann. Letztlich haben für mich, als technikaffine Rechtsanwältin, die unvergleichlichen Audi-Fahrzeuge die Entscheidung sehr leicht gemacht.

Zimmermann: Meine letzte Frage bezieht sich auf ihren gemeinsamen Vortrag: Geben Sie uns einen kleinen Vorgeschmack zu dem ein oder anderen Schwerpunkt?

Graue: Wir beide haben als Kolleginnen bei Audi schnell gemerkt, wie wichtig es ist, dass andere Fachbereiche keine Angst vor der Rechtsabteilung haben dürfen und dass wir nicht als „Stopper“ von Projekten betrachtet werden dürfen. Genau diese Erfahrung habe ich auch in der Start-Up Welt vertieft erlebt. Wir wollen daher sensibilisieren, dass die Nutzung von bestehenden Tools eine tolle Gelegenheit ist, sich auf die Bühne des internen Mandanten zu begeben und auf Augenhöhe zu agieren. Wir haben insbesondere in den vergangenen Monaten erlebt, wie wichtig es ist, ein stabiles juristisches Netzwerk aufzubauen. Wenn viele Juristen ein Thema von Null aufbereiten ist das nicht effektiv. Wenn ein reger Austausch stattfindet – ein unternehmensübergrifendes kollaboratives Arbeiten – dann können Krisensituationen wesentlich effektiver überwunden werden.

Hussain: Uns ist es insbesondere wichtig zu verdeutlichen, dass die Rechtsabteilung sich nicht wie ein Fremdkörper im Unternehmen fühlen darf. Vielmehr muss sie sich organisch einfügen und gemeinsam mit ihren internen Mandanten, mit der Unterstützung von Legal Tech, ihre Aufgaben wahrnehmen. Dabei möchten wir auch herausstellen, wie sich Start Up’s von Großkonzernen unterscheiden und an welchen Stellen die Anforderungen an die Rechtsabteilungen sich verändern. Dabei kommt es nicht nur auf die Zusammenarbeit im Rahmen der Projekte, sondern auch auf die allgemeine Kommunikation mit dem Mandanten an.
Im Ergebnis muss uns als Inhouse-Rechtsanwälten bewusst sein, dass wir von den Mandanten nicht als Stopper, sondern als Legal Enabler wahrgenommen werden müssen.

Zimmermann: Vielen Dank für das Interview und Ihre Zeit.

Frau Hussain und Frau Graue referieren gemeinsam am 14. August zum Thema „Unternehmensübergreifendes kollaboratives Arbeiten – Anforderungen an Rechtsabteilungen“ und vermitteln uns einen Einblick in das Arbeitsumfeld der Unternehmensjuristen.

Im Gespräch mit Kerstin Zimmermann – studentische Hilfskraft bei HK2 Rechtsanwälte