Der Regierungsentwurf zur Berufsrechtsreform 2021 kam am 20. Januar. Wie weit reicht dieser? Was bedeutet er für die Anwaltschaft und Legal Tech-Unternehmen? Und welche Rolle spielt die DSGVO in Bezug auf Legal Tech-Strategien? Celine Zeck, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei HK2-Rechtsanwälte, hat u.a. darüber mit Rechtsanwalt Dr. Frank Remmertz gesprochen. Remmertz wird am 22. April auf dem 8. Deutschen IT-Rechtstag 2021 zu dem Thema „Mehr Digitalisierung wagen: Was bringt uns die Berufsrechtsreform 2021?“ referieren.

Zeck: Herr Dr. Remmertz, Sie sind Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und IT-Recht. Was fasziniert Sie so am IT-Recht und was sind Ihrer Ansicht nach derzeit die größten Herausforderungen in der IT-Rechtsberatung? Insbesondere mit Blick auf das Motto des 8. Deutschen IT-Rechtstags 2021 „IT-Rechtsberatung in der Überregulierung“?

Remmertz: Das IT-Recht bietet wie keine andere Rechtsmaterie die Möglichkeit, die Digitalisierung von Geschäftsprozessen hautnah rechtlich mit zu begleiten. Es ist eine sehr spannende und schnelllebige Rechtsmaterie, deren Bedeutung seit der Corona-Krise noch einmal enorm gestiegen ist. Das IT-Recht hat hier durch die teilweise erzwungene Digitalisierung von Unternehmensabläufen (Videokonferenzen, Home-Office etc.) einen regelrechten Boom erlebt. Ich würde sagen, dass das IT-Recht heute eine Vorreiterrolle hat, da es viele Schnittstellen zu „klassischen“ Rechtsgebieten aufweist, wie beispielsweise das Arbeitsrecht bei Home-Office-Regelungen oder das Gesellschaftsrecht bei der datenschutzrechtlichen Gestaltung von virtuellen Hauptversammlungen. Es gibt heute praktisch kein Rechtsgebiet mehr, das keinen Bezug zu IT hat. Für IT-Rechtsberater besteht dabei die Herausforderung, sich nicht nur mit neuen technologischen Entwicklungen, sondern auch mit anderen Fachbereichen rasch vertraut zu machen.

Zeck: Am 22. April werden Sie selbst als Referent am IT-Rechtstag 2021 aktiv sein. Ihr Thema lautet: „Mehr Digitalisierung wagen: Was bringt uns die Berufsrechtsreform 2021?“. Wie bewerten Sie, insbesondere aus der Perspektive als Vorstandsmitglied der Anwaltskammer München, die Berufsrechtsreform 2021 und den bisherigen Regierungsentwurf vom 20. Januar? Inwieweit sehen Sie ihn – Stand jetzt – als gelungen an, wo sehen Sie Verbesserungsmöglichkeiten?

Remmertz: Es ist zwischen der Digitalisierung von Kanzleiabläufen und der von anwaltlichen Dienstleistungen, also auch der IT-Rechtsberatung, zu unterscheiden. Beides ist heute sehr wichtig, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. Was die Digitalisierung von Kanzleiabläufen betrifft, so dürfte dies spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie klar geworden sein. Hier erleichtert das geltende Berufsrecht schon vieles wie beispielsweise das Outsourcing von Serviceleistungen oder die sichere Kommunikation mit Kollegen und Gerichten über das beA. Manche sehen das beA als Musterbeispiel für eine Überregulierung. Diese Kritik teile ich nicht, auch wenn bei der Nutzerfreundlichkeit noch Verbesserungspotential besteht. Im Home-Office haben viele Kolleginnen und Kollegen die papierlose und sichere Kommunikation über das beA schätzen gelernt.

Was die Digitalisierung der (IT-)Rechtsberatung als solche betrifft, so verfolgt der Gesetzgeber mit dem Entwurf eines „Legal Tech-Inkasso-Gesetzes“ das Ziel, im Sinne der Verbraucher einen rechtssicheren Rahmen für IT-Inkassoanbieter zu schaffen, gleichzeitig aber auch berufsrechtliche Hürden für die Anwaltschaft abzubauen, um einen fairen Wettbewerb zwischen Legal Tech-Unternehmen und Anwaltschaft zu ermöglichen. Ob dieses Ziel mit den geplanten Änderungen der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) erreicht werden kann, ist m.E. fraglich. Hier sehe ich noch Verbesserungspotential für die Anwaltschaft. Auch die weitere Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts bringt Änderungen, die sich positiv auf anwaltliche Legal Tech-Strategien auswirken werden. So wird es voraussichtlich künftig möglich sein, mit IT-Fachleuten in einer Bürogemeinschaft zusammenzuarbeiten. Beratende Volks- und Betriebswirte sollen sogar sozietätsfähig werden, eventuell auch weitere freie Berufe, was aber noch strittig ist.

Zeck: Nach wie vor umstritten in diesem Zusammenhang ist auch der Umstand, dass Legal Tech Unternehmen derzeit vorrangig auf Basis der Inkassoregelungen tätig sind und inwieweit hier Reformierungsbedarf besteht. Die Studie „Große Legal Tech-Umfrage 2020“ des FFI-Verlags zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Anwaltschaft, v. a. in mittelgroßen Kanzleien Legal Tech eher als Chance denn als Gefahr einstuft. Wie stehen Sie zu digitalen Geschäftsmodellen und Legal Tech?

Remmertz: Ich bin der Ansicht, dass die Anwaltschaft die Veränderungen durch die Digitalisierung annehmen und aktiv mitgestalten sollte. Legal Tech ist kein Hype und wird an Bedeutung massiv zunehmen. Wichtig ist daher, dass jede Kanzlei ihre eigene Legal Tech-Strategie entwickelt, je nach „Anwaltstyp“ und Ausrichtung der Kanzlei. Für die eine Kanzlei ist es wichtig, mit Mandanten möglichst nur noch digital zu kommunizieren und digitale Vertriebs- und Marketingstrategien zu verfolgen. Andere Kanzleien legen den Schwerpunkt vielleicht mehr auf die Digitalisierung von Zivilprozessen (Stichwort „Massenklagen“). Die Anwaltschaft ist für den Wettbewerb mit Legal Tech-Unternehmen – ob mit oder ohne Reform – in jedem Fall gut gerüstet. Die persönliche anwaltliche Beratung lässt sich nicht automatisieren. Sie ist und bleibt Markenkern der Anwaltschaft. Sie sollte Legal Tech daher als Chance sehen und bereits jetzt die Möglichkeiten nutzen, die schon das gegenwärtige Berufsrecht bietet. Es ist nämlich mehr möglich als viele meinen.

Zeck: Sie beraten Ihre Mandant*innen auch in datenschutzrechtlichen Belangen. Mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sollte der Datenschutz europaweit optimiert und vereinheitlicht werden. Welche Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung und Legal Tech sehen Sie aus datenschutzrechtlicher Perspektive? Welche Rolle spielt die DSGVO hierbei?

Remmertz: Die DSGVO spielt natürlich auch bei der Digitalisierung von Kanzleiabläufen und der Entwicklung von Legal Tech-Strategien eine wichtige Rolle. Die Kritik, dass die DSGVO innovative Geschäftsmodelle unnötig bremst, teile ich allerdings nicht. Ich halte den Aufwand zum Schutz der Betroffenenrechte für erforderlich, zumal datengetriebene Geschäftsmodelle erheblich zunehmen werden. Datenschutz ist Schutz jedes Einzelnen vor unzulässigen Eingriffen in seine Persönlichkeitsrechte. Es sollten daher m.E. keine datenschutzrechtlichen Hürden auf Kosten der Betroffenenrechte abgebaut, sondern vielmehr das Problembewusstsein der Verbraucher durch Aufklärung geschärft werden. Ziel sollte sein, dass der Betroffene als mündiger Bürger eine informierte Entscheidung über seine Rechte treffen kann.

Zeck: Herr Dr. Remmertz, im Jahr 2018 sind Sie von der Anwaltskammer München mit der Kammermedaille, u. a. wegen Ihrer Verdienste als Vorsitzender der Abteilung VI ausgezeichnet worden. Diese Abteilung ist zuständig für die Fachanwaltschaften und Ahndung von Verstößen gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG). Wie bewerten Sie das Zusammenspiel von RDG und der DSGVO? Welches Konfliktpotenzial sehen Sie hier?

Remmertz: Es gibt einige Geschäftsmodelle auf Basis der DSGVO, die mit dem RDG kollidieren können. Das beginnt bereits bei den Anbietern von Generatoren für Datenschutzerklärungen. Hier stellt sich mitunter die Frage, ob das bereits eine erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung ist. Zudem gibt es mehr und mehr Legal Tech-Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, für Betroffene automatisiert datenschutzrechtliche Auskunfts- und / oder Schadensersatzansprüche – meist auch in Kooperation mit Anwälten – geltend zu machen. Auch insoweit kann zweifelhaft sein, ob dies mit dem RDG vereinbar ist. Nicht zuletzt können Datenschutzbeauftragte in Konflikt mit dem RDG geraten, wenn sie ihre Befugnisse bei der datenschutzrechtlichen Beratung nach der DSGVO überschreiten. All dies ist umstritten und richterlich noch nicht abschließend geklärt.

Zeck: Um beim RDG zu bleiben – Ihrer Erfahrung nach: Welche Verstöße gegen das RDG kommen am häufigsten vor? Welchen Einfluss hat die Pandemie darauf – haben sich seit dem letzten Jahr die Art der Verstöße oder die Häufigkeit geändert? Und welche Tipps haben Sie für Rechtsdienstleister, um Verstößen vorzubeugen?

Remmertz: Die Corona-Krise hat nach meiner Wahrnehmung zu einem gesteigerten Beratungsbedarf in vielen Rechtsbereichen geführt und auch viele selbsternannte „Corona-Berater“ auf den Plan gerufen, die z. B. zu den vielen Hilfsprogrammen beraten. Abseits der Krise gibt es immer wieder Verstöße von Unternehmen, die z. B. die Grenze zulässiger Nebenleistungen überschreiten. Gab es zum Inkrafttreten des RDG im Jahr 2008 eine steigende Tendenz von Verstößen, ist in der letzten Zeit eher eine Abnahme zu verzeichnen. Zumindest gibt es weniger Beschwerden. Das hat sich auch während der Pandemie nach meiner Erfahrung fortgesetzt. Ausnahmen sind Legal Tech-Unternehmen. Hier ist eine Zunahme von RDG-Verstößen zu beobachten. Der beste Tipp zur Vermeidung von Verstößen ist natürlich der, sich vorab anwaltlich beraten zu lassen.

Zeck: Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft: Ob im Bereich Legal Tech, Datenschutz oder bezogen auf das RDG – Was erhoffen Sie sich vom Gesetzgeber in den kommenden Jahren, insbesondere mit Blick auf die IT-Rechtsberatung?

Remmertz: Ich erhoffe mir vor allem mehr Gehör für die Belange der Anwaltschaft, die mir gerade in der aktuellen berufspolitischen Diskussion um das neue Gesetz zum Legal Tech-Inkasso zu kurz kommen.

Zeck: Ich danke Ihnen herzlich für das Interview und Ihre Zeit.

Dr. Frank Remmertz
spricht am 22. April zum Thema Regierungsentwurf zur Berufsrechtsreform 2021 und die Bedeutung für die Anwaltschaft und Legal Tech-Unternehmen

Das Interview führte Celine Zeck, wissenschaftliche Mitarbeiterin
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