„Wie sich die Anwaltschaft selbst im Weg steht – vom Umgang mit Legal Tech“ – zu diesem Thema spricht Alisha Andert am 22. April auf dem 8. Deutschen IT-Rechtstag 2021. Celine Zeck, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei HK2-Rechtsanwälte, hat die Volljuristin vorab interviewt und herausgefunden, wie sie zu den Chancen und Grenzen von Legal Tech in der Anwaltschaft, den Besonderheiten von Legal Design & Design Thinking und zu Burrata steht.

Zeck: Frau Andert, ob in der Verwaltung, der (Staats-)Anwaltschaft oder dem Richteramt – Was meinen Sie, warum sich Legal Tech in diesen klassischen Branchen noch nicht so breit etabliert hat? Wie passen die Moderne, Digitalisierung und v. a. Legal Tech überhaupt dazu?

Andert: Ich denke, das hat vor allem damit zu tun, dass wir in Verwaltung, Staatsanwaltschaft und Justiz keinen „Markt“ haben. Die freie Wirtschaft ist in der Regel etwas progressiver und auch darauf angewiesen, sich innovativ weiterzuentwickeln. Man kann darüber streiten, ob es sich bei der Anwaltschaft und anderen Rechtsdienstleistern um einen Rechtsmarkt handelt, aber man kann nicht von der Hand weisen, dass wir es mit einem Konkurrenzdruck zu tun haben, den Verwaltung, Staatsanwaltschaft und Justiz nicht kennen. Dass sich Legal Tech selbst bei der Anwaltschaft noch nicht nachhaltig etabliert hat, hat auch mit einer Monopolstellung zu tun, die nun durch alternative Rechtsdienstleister verändert wird. Genau deshalb sehen wir aber auch endlich Bewegung in diesem Bereich.

Die Welt, in der wir leben, ist nun mal eine digitale Welt. Unsere Gesellschaft entwickelt sich immer mehr in diese Richtung und ich finde es gefährlich, wenn sich unsere Institutionen nicht gleichermaßen mitentwickeln. Wir müssen uns doch viel mehr fragen, wie wir Verwaltung, Justiz, Staatsanwaltschaft und Rechtsdienstleistungen an die sich immer mehr und immer schneller verändernden Begebenheiten anpassen können. Ist es nicht gerade unsere Aufgabe als Juristinnen und Juristen, unsere abstrakten Normen auf neue Sachverhalte anzuwenden und sollten wir uns daher nicht viel mehr fragen, wie unser Modell in diese neue Welt passen kann?

Zeck: Was fasziniert Sie so an Legal Tech und warum kommt die Jurist*innenzukunft Ihrer Meinung nach da nicht mehr drum herum?

Andert: Legal Tech ist ein sehr breites Feld. Es reicht von bestimmten Tools, die beispielsweise Rechtsanwältinnen die Arbeit erleichtern sollen bis hin zu völlig neuen Geschäftsmodellen auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt, die Verbrauchern einen besseren Zugang zum Recht verschaffen. Legal Tech steht also insgesamt für die Digitalisierung des Rechts. Was mich daran fasziniert, ist, dass der Kern der juristischen Tätigkeit, anders als der Tech-Bereich, keinerlei digitale Schnittstellen hat. Für eine gelungene digitale Transformation braucht es daher Expertinnen an den verschiedenen Schnittstellen. Damit muss sich die Juristerei auch anderen Branchen öffnen (und das tut sie äußerst ungern). Das ist genau das, was mich reizt und fasziniert. In gewisser Weise ist es auch eine Demokratisierung des Rechts. Jura gehört nicht nur noch Juristen.

Welche Branche kommt denn schon um die Digitalisierung herum? Alle Branchen außerhalb der Juristerei sind mit der Digitalisierung konfrontiert, mitten in der Transformation oder längst angekommen. Wie wollen Kanzleien solche Unternehmen beraten, wenn ihr eigenes Arbeitsmodell weit zurückhängt? Und auch Verbraucherinnen und Verbraucher werden sich letztlich für die Rechtsdienstleistung entscheiden, die für sie am zugänglichsten ist. Höchstwahrscheinlich spielen digitale Modelle also auch hier eine tragende Rolle.

Zeck: Wo sehen Sie die Grenzen von Legal Tech? Und wie schätzen Sie die Risiken und Gefahren im Zusammenhang mit der Digitalisierung des Rechts ein, wenn man an Stichworte wie Datenschutz und Hacker-Attacken denkt?

Andert: Grenzen in der Anwendung von Tools sehe ich vor allem in den kernjuristischen Tätigkeiten. Bestimmte Subsumtionen, wie zum Beispiel, ob etwas noch fristgerecht ist, können zwar auch von Tools erledigt werden. Knifflig wird es aber bei Abwägungsfragen. Uns alle plagt ein mulmiges Gefühl, wenn wir uns vorstellen, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht durch einen Menschen durchgeführt wird. Das ist auch in Ordnung. Mir wird auch oft entgegengehalten, dass man etwas nicht automatisieren könne, weil es eben ein so spezifischer Einzelfall sei, dass Standardisierung nicht möglich ist. Ist doch ok! Natürlich kann man nicht alles standardisieren und automatisieren. Aber wir haben so viel nicht ausgeschöpftes Potenzial und endlose Möglichkeiten, unsere Arbeit effizienter, digitaler und innovativer zu machen.

Das Thema Datenschutz wird mit der Digitalisierung definitiv relevanter. Wenn ich meine Akten nicht mehr in Papierordnern wegsperre, sondern auf einem Server oder sogar einer Cloud lagere, muss ich mich mit den Themen Datenschutz und Datensicherheit intensiver auseinandersetzen. Auch das ist Teil der digitalen Welt, in der wir leben. Das sind für mich allerdings keine Hindernisse, sondern eher Faktoren, die eine verstärkte Rolle im Berufsalltag spielen.

Zeck: Sie werden auf dem 8. Deutschen IT-Rechtstag 2021 als Referentin aktiv sein. In Ihrem Vortrag, am 22. April, werden Sie den Einsatz von Legal Tech in der Anwaltschaft thematisieren. Können Sie uns einen kurzen Vorgeschmack geben, worum es gehen wird, und worauf sich die Zuschauer*innen freuen dürfen – ohne natürlich zu viel vorwegzunehmen?

Andert: Der Titel ist etwas provokant, denn ich möchte darüber sprechen, wie sich die Anwaltschaft im Umgang mit Legal Tech selbst im Weg steht. Ohne zu viel verraten zu wollen, hat dies meines Erachtens nach auch damit zu tun, dass Legal Tech immer entweder als Tool verstanden wird, das den Alltag erleichtern soll, dafür aber wieder nicht „genug“ macht. Oder als alternative Rechtsdienstleister, die eine Gefahr für die Anwaltschaft darstellen. Was ist, wenn man Legal Tech weiter versteht, nämlich als Digitalisierung des Rechtsmarkts? Wie sollten sich Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen dann aufstellen, um auf diesem neuen Markt zu bestehen?

Zeck: Auf dem IT-Rechtstag wird u. a. das (post-)pandemische IT-Recht thematisiert. Inwieweit meinen Sie, könnte die Pandemie Deutschland in gewisser Weise in Sachen Digitalisierung „wachgerüttelt“ haben?

Andert: Jedenfalls kann man sagen, dass die Defizite, die Deutschland in Sachen Digitalisierung aufweist, nun absolut jedem Bürger und jeder Bürgerin aufgezeigt wurden: die Enttäuschung über die Corona-App, die katastrophale Überlastung der Gesundheitsämter, die schlechte technische Ausstattung der Justiz, wodurch Video-Verhandlungen nur selten möglich waren. Die Pandemie hat gezeigt, dass wir technisch nicht im Ansatz genügend ausgestattet sind. Sie hat auch gezeigt, dass wir durch unsere Institutionen nicht in der Lage sind, kurzfristig auf veränderte Begebenheiten zu reagieren. Und sie hat aber mit Biontech ebenfalls gezeigt, dass Innovation und Unternehmertum uns weiterbringen und gefördert werden müssen. Ich erhoffe mir wirklich, dass diese Lehren aus der Pandemie gezogen werden, damit wir als Gesellschaft nicht den Anschluss an das digitale Zeitalter verpassen.

Zeck: Auch die Frage der (Über-)Regulierung im IT-Recht und der IT-Rechtsberatung, die sich auf EU-, Bundes- sowie Landesebene abzeichnet, wird ein Thema auf dem IT-Rechtstag sein. Bezogen auf die Legal Tech-Lösungen als alternative Rechtsdienstleister, wie schätzen Sie hier die Gefahr einer Überregulierung ein oder müsste man hier viel eher von einer Unterregulierung ausgehen? Was sollte sich aus Ihrer Sicht hier konkret ändern?

Andert: Man könnte hier für Legal Tech Unternehmen von einer Unterregulierung sprechen, da es keinen expliziten Tatbestand im RDG gibt, das würde aber ein falsches Bild vermitteln. Im Grunde bieten sogenannte Legal Techs meistens eine außergerichtliche Rechtsdienstleistung an. Diese ist durchaus stark reguliert, da sie mit ein paar Ausnahmen der Anwaltschaft vorbehalten ist. Eine dieser Ausnahmen, die Inkassotätigkeit, machen sich die Unternehmen zunutze. Das Inkassorecht ist aber gerade nicht für diese Konstellation (Verbraucher gegen Unternehmen) geschaffen worden und passt an einigen Stellen nicht. Das führt auch zu Rechtsunsicherheit, die letztlich auf Kosten des Unternehmertums und somit der Rechtsuchenden geht. Der Gesetzgeber hat darauf kürzlich reagiert und es wird nun voraussichtlich ein paar kleinere Änderungen geben, die unter anderem mehr Rechtssicherheit für solche Modelle garantieren sollen. Das geht aus meiner Sicht nicht weit genug. Eine konsequente Öffnung der außergerichtlichen Rechtsberatung für die meisten Bereiche (ausgenommen z. B. das Familienrecht) auch für alternative Rechtsdienstleister könnte Innovation in diesem Bereich wirklich nachhaltig fördern. Selbstverständlich müssten Mechanismen zur Qualitätskontrolle verstärkt werden. Es ist jedoch bereits heute so, dass Rechtsdienstleister unter dem Inkasso-Modell mehr Freiheiten haben als die Anwaltschaft, die durch das anwaltliche Berufsrecht streng reguliert ist. Das ist unlogisch, verleitet mich aber dazu zu sagen, dass wir eine konsequente Öffnung wagen sollten.

Zeck: Sie sind Volljuristin mit Design Thinking Ausbildung, Legal Tech-Expertin und Co-Founder von „This is Legal Design“. In einem Interview haben Sie in diesem Zusammenhang Legal Design als ganzheitliche Disziplin beschrieben, wie die Rechtsbranche besser gestaltet werden kann und Design Thinking als nutzerzentrierte Methode, um für individuelle Nutzer eigene Lösungen zu entwickeln. Inwieweit ist es nicht ohnehin die Essenz des Berufs eines jeden Rechtsanwalts und einer jeden Rechtsanwältin, passgenaue und personenorientierte Lösungen für den individuellen Mandanten zu finden? Was ist an Design Thinking neu bzw. besser?

Andert: Legal Design betrachtet eben nicht nur das juristische Problem einer Person. Wenn jemand ein juristisches Problem hat, sagen wir, vom Arbeitgeber gekündigt worden zu sein, dann steht dieses Problem doch eigentlich im Kontext einer Gesamtsituation. Eine Person hat hier ihren Job, ihre Existenzgrundlage verloren. Das juristische Kernthema ist schnell besprochen. Besteht Kündigungsschutz? Wollen wir gegen die Kündigung vorgehen? Kündigungsschutzklage! Beim Legal Design geht es aber darum, das Problem ganzheitlich zu betrachten und es aus Nutzerperspektive, in diesem Fall aus Sicht des Mandanten, zu verstehen. Dabei wird dann zum Beispiel deutlich, dass ein wichtiges Bedürfnis darin besteht, sich sicher und aufgehoben zu fühlen und der Fokus daher mehr auf der Betreuung als auf der rechtlichen Beratung liegen muss. Legal Design ermöglicht es mir, Produkte, Prozesse, Tools etc. zu entwickeln, die das Juristische zwar immer berücksichtigen, aber nicht Jura, sondern die Nutzerperspektive in den Fokus stellen und dadurch erfolgreicher sind.

Zeck: Die Corona-Situation mal außer Acht gelassen – was begeistert und beschäftigt Sie – wenn Sie gerade mal nicht mit der Juristerei oder dem Digitalisieren der Rechtsbranche durch Design Thinking beschäftigt sind?

Andert: Ich tanze gern und viel und albern. Das kommt definitiv etwas zu kurz während der Pandemie, aber treue Instagram-Follower wissen, dass sie mich nicht abhalten kann. Außerdem gehe ich für einen guten Witz auch gern mal weit und lache viel. Und Burrata. Burrata begeistert mich auch!

Zeck: Ich danke Ihnen herzlich für das Interview und Ihre Zeit.

Alisha Andert, LLM. Vorstandsvorsitzende Legal Tech Verband Deutschland
spricht am 22. April zum Thema „Wie sich die Anwaltschaft selbst im Weg steht – vom Umgang mit Legal Tech“

Das Interview führte Celine Zeck, wissenschaftliche Mitarbeiterin
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