DiGAs und Telematik: Sozial- und Medizinrecht an der Schnittstelle zum IT-Recht

Im Gespräch mit Rechtsanwältin Charlotte Guckenmus

Charlotte Albach: Frau Guckenmus, Sie werden auf dem IT-Rechtstag 2022 einen Vortrag über das Thema „DiGAs und Telematik: Sozial- und Medizinrecht an der Schnittstelle zum IT-Recht“ halten. Können Sie uns einen kleinen Einblick geben, was uns erwartet? Und für alle Sozial- bzw. Medizinrechts Neulinge unter uns: Was sind „DiGAs“ und inwiefern sind gerade Sie ein gutes Beispiel für Schnittstellen zwischen IT- und Sozial- und Medizinrecht?

Charlotte Guckenmus: Bei meinem Vortrag beim Deutschen IT-Rechtstag geht es um die vielen Gemeinsamkeiten des Sozialrechts, des Medizinrechts und des IT- und Datenschutzrechts. Am Beispiel der DiGAs und der Telematik möchte ich aufzeigen, dass wir alle über diese Neuheiten sprechen, aber jeder seine eigene Sichtweise hat: Die IT-Rechtler schauen insbesondere auf die Hardware und die Software, die Medizinrechtler oftmals aus ärztlicher Sicht auf die Anwendungen als solche, auf die Vergütung der Ärzte und auf die Haftungsfragen, die Sozialrechtler betrachten insbesondere die Abrechnungsfragen und Streitigkeiten mit den Krankenkassen und die Datenschützer schauen aus dem Blickwinkel der IT-Sicherheit und der recht kompliziert miteinander verwobenen Datenschutzvorschriften auf den Schutz der Patientendaten.
Für uns Anwälte kann es jedoch für die Beratung unserer Mandanten nur von Vorteil sein, wenn wir alle Sichtweisen beherrschen, um eine umfassende Beratung durchführen zu können. In der Digitalisierung des Gesundheitssektors liegen große Chancen für eine noch bessere Gesundheitsversorgung in Deutschland. Dies erklärt sich am besten am Beispiel der DiGAs: DiGAs sind digitale Gesundheitsanwendungen: Apps auf Rezept, bezahlt von den Krankenkassen. Sie eröffnen vielfältige Möglichkeiten, um bei der Erkennung und Behandlung von Krankheiten sowie auf dem Weg zu einer selbstbestimmten gesundheitsförderlichen Lebensführung zu unterstützen. Die DiGAs leben aber als „digitale Helfer“ von Daten. Nur wenn die Patientinnen und Patienten sie „mit Leben“ und somit mit ihren individuellen Daten füllen, können sie helfen. Möglich ist dies auch über die Anbindung in die Telematikinfrastruktur.
Nach der Legaldefinition in § 306 Abs. 1 S. 2 SGB V ist die Telematikinfrastruktur die interoperable und kompatible Informations-, Kommunikations- und Sicherheitsinfrastruktur, die der Vernetzung von Leistungserbringern, Kostenträgern, Versicherten und weiteren Akteuren des Gesundheitswesens sowie der Rehabilitation und der Pflege dient. Patientinnen und Patienten können ihre Daten aus der elektronischen Patientenakte in die DiGAs kopieren und umgekehrt.
Allerdings ist es unter den derzeitigen rechtlichen und auch praktischen Rahmenbedingungen für alle Beteiligten eine Herausforderung, bis die digitalen Lösungen implementiert sind und von allen akzeptiert werden.
Als Schnittstellenbeauftragte des geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein und als davit-Mitglied ist es mir ein großes Anliegen, die Gemeinsamkeiten der beiden Arbeitsgemeinschaften und der jeweiligen Mitglieder aufzuzeigen, denn alle wünschen sich den Dialog und den geistigen Austausch mit Gleichgesinnten. Ich sehe diesen Austausch als Chance, um noch tiefer in die Spezialbereiche vorzudringen, um sich rechtlich noch besser aufzustellen und um neue Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen, die das eigene Netzwerk erweitern.
Zusammen mit Herrn Rechtsanwalt und Mediator Dr. Thomas Lapp organisiere ich regelmäßig den Stammtisch Sozialrecht, bei dem aktuelle Schnittstellen-Themen von tollen Referentinnen und Referenten vorgetragen werden und bei dem unsere Mitglieder auch Fragen stellen und sich einbringen können.

Charlotte Albach: Auf der Website der davit zum Fachbereich Sozialrecht sagen Sie, es sei Ihr Ziel, das Thema des Sozialdatenschutzes zu fördern, weil der Schutz der Sozialdaten uns alle angehe. Inwiefern wurde dieses Thema in der Pandemie, insbesondere in Anbetracht der neuen Anwendungen wie der Corona-Warn-App oder der Luca App präsenter? Wurde der Sozialdatenschutz und dessen Verständnis in diesem Zuge weiterentwickelt und inwieweit (nicht)?

Charlotte Guckenmus: Das Thema des Sozialdatenschutzes gibt es nicht erst seit der Pandemie, vielleicht wurde es vielen aber offensichtlicher durch die „Corona-Apps“: Man konnte seinen Impfstatus sowie das Datum der Impfung angeben, manche Apps haben untereinander kommuniziert, viele haben aber auch ihre Gesundheitsdaten einfach mittels Messenger-Diensten weitergeleitet und damit oftmals noch weiter verbreitet als vielleicht ursprünglich gewünscht …
Eine Weiterentwicklung der Gesetzgebung findet dauerhaft statt, insbesondere unter Herrn Spahn gab es wöchentliche Neuerungen, was für uns Anwälte beständig neue Mandate brachte.
Der Sozialdatenschutz kam meiner Meinung nach präsenter in die Köpfe der Menschen, da viele – egal ob geimpft oder ungeimpft – den eigenen Impfstatus nicht offenbaren wollten.
Der Sozialdatenschutz hört aber beim Impfen nicht auf, sondern fängt hier erst an. Bei der elektronischen Patientenakte wie auch allen anderen Anwendungen der Telematikinfrastruktur sollte man sich insbesondere als Nutzer immer bewusst machen, dass die Nutzung freiwillig ist. Ebenfalls sollte man sich vor Inbetriebnahme darüber Gedanken machen, dass der für Patientinnen und Patienten kostenlos angebotene Service auch was kostet: Jeder bezahlt mit seinen Daten!
In den jeweiligen Einstellungen der unterschiedlichen Anwendungen können zwar Regelungen getroffen werden, wer welche Daten sehen darf. Allerdings liegt hier eher ein Großkonzept vor, ein „Feintuning“ ist noch nicht möglich. Wer kein Problem damit hat, seine Daten preiszugeben, kann diese auch an Krankenkassen und Forschungsstellen freigeben.

Charlotte Albach: Beim Schutz der Sozialdaten sind viele Akteure mittlerweile auf bereichsübergreifende Beratung angewiesen. Sind die gesetzlichen Vorgaben für bestimmte Akteure (Krankenhäuser, Sozialversicherungsträger, …) besonders kompliziert und ergeben sich für Sie dementsprechende Beratungsschwerpunkte? Daran anknüpfend: Gibt es einen Punkt im Sozialdatenschutz, der Ihrer Meinung nach noch besonders schlecht gesetzlich geregelt ist?

Charlotte Guckenmus: Als Fachanwältin für Sozialrecht und Fachanwältin für Medizinrecht sehe ich die vielen Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Rechtsgebieten. Da ich mich aber als zertifizierte Datenschutzbeauftragte auch für den Datenschutz und natürlich für das IT-Recht interessiere, erkenne ich auch hier wesentliche Schnittstellen. Da die Welt digitaler wird und der digitale Fortschritt (zum Glück) nicht aufzuhalten ist, sehe ich in den nächsten Jahren viel Arbeit auf uns alle zukommen, insbesondere an den Schnittstellen zu anderen Fachanwaltschaften. Daher ist das Thema des aktuellen IT-Rechtstages herausragend gut gewählt, da es absolut dem Zeitgeist entspricht.
Wie vorhin bereits erwähnt, hat der geschäftsführende Ausschuss der davit, Fachteams ins Leben gerufen, um die Kolleginnen und Kollegen, die wie ich an Schnittstellen arbeiten, zu vernetzen. Wir Sozialrechtler unterstützen dies, da auch wir den Netzwerkgedanken hochhalten und viele Schnittstellen zum IT- und Datenschutzrecht sehen.

Charlotte Albach: Wenn Sie sich zwischen den drei Rechtsgebieten Sozialrecht, Medizinrecht und IT-Recht entscheiden müssten: Welches würden Sie am ehesten weiterverfolgen und aus welchen Gründen?

Charlotte Guckenmus: Gute Frage! Ich würde alle beibehalten, da ich alle drei Rechtsbereiche spannend finde und sie sich inhaltlich hervorragend ergänzen.

Charlotte Albach: Welches der drei Gebiete würden sie StudentInnen oder ReferendarInnen wie mir am meisten empfehlen? Können Sie für dieses spezifische Gebiet einen oder zwei Karriere-Tipps geben, die sich für Sie bewährt haben?

Charlotte Guckenmus: Eine Empfehlung ist total schwer, da es auf die jeweiligen Interessen der oder des Einzelnen ankommt. Alle drei Rechtsgebiete sind keine Bestandteile des Pflichtfachstoffes für die beiden Examina. Man muss daher eine persönliche Beziehung bzw. ein Faible dafür haben, um sich nach den absolvierten Examina noch weiterer Fort- und Weiterbildung zu widmen.
Bei mir waren die Grundzüge bereits im Studium angelegt und ich habe meine Referendariats Stationen gezielt in die Richtung gelegt, in der ich heute arbeite.
Mein Karriere-Tipp: Jeder sollte das tun, was er mag. Denn nur, wenn man mit Leidenschaft an die Arbeit geht, produziert man eine gute Lösung, mit der die Mandanten glücklich sind.

Charlotte Albach: Zu guter Letzt ein Blick auf den IT-Rechtstag 2022: Welcher Vortrag löst bei Ihnen am meisten Vorfreude aus und wieso?

Charlotte Guckenmus: Ich freue mich auf alle Vorträge, auf den geistigen Austausch und auf das Netzwerken!

Dr. Kristina Schreiber

Charlotte Guckenmus, LL.M., Rechtsanwältin, zert. DSB, Frankfurt (Main)

Charlotte Albach

Charlotte Albach, HK2 Rechtsanwälte