10.000 Mandanten über Social Media gewinnen?

Im Gespräch mit Herrn Christian Solmecke

Kerstin Zimmermann: Herr Solmecke, am 27. April 2023 referieren Sie auf dem 10. Deutschen IT-Rechtstag zum Thema: „10.000 Mandanten über Social Media gewinnen?“. Geben Sie uns bitte einen kleinen Vorgeschmack zu dem einen oder anderen Schwerpunkt Ihres Vortrags.

Christian Solmecke: In den letzten Jahren habe ich das Thema Marketing in meiner Kanzlei sehr forciert. Es reicht einfach nicht mehr aus, einfach nur ein Schild mit dem Anwaltslogo an die Tür zu hängen. Gerade in einer Großstadt wie Köln ist es natürlich umso schwieriger, sich von der Masse der Anwälte abzuheben.

In meinem Vortrag erzähle ich, wie wir das Marketing in der Kanzlei ausgebaut haben – von einem einfachen Internet-Blog, über eine Facebook-Seite, Instagram, TikTok und einen großen YouTube-Kanal, der sich mittlerweile zu einem unserer wichtigsten Akquisekanäle entwickelt hat. Ich möchte auch kleineren Kanzleien und Wirtschaftskanzleien zeigen, wie man diese Technologien nutzen kann, um das Marketing in der eigenen Kanzlei voranzutreiben.

Kerstin Zimmermann: Warum folgen Ihrer Art der Mandantengewinnung nur wenige Kolleginnen und Kollegen der Branche?

Christian Solmecke: Tatsächlich waren wir am Anfang alleine auf weiter Flur und es gab kaum Kolleginnen und Kollegen, die YouTube-Kanäle hatten. Das hat sich mittlerweile geändert, da es auch viele junge Anwälte gibt, die mit diesem Medium „YouTube“ groß geworden sind.

Aber was wirklich ein großes Hindernis für diese Art von Marketing ist, ist einfach die Zeit. Anwältinnen und Anwälte sind quasi permanent getrieben und schaffen es kaum, sich von ihren originären Aufgaben zu lösen.

Zwischen Mandantengesprächen, Gerichtsterminen und noch organisatorischen Aufgaben bleibt einfach kaum Zeit, das Marketing in Ruhe voranzutreiben. Ich persönlich habe von Anfang an darauf gesetzt, nicht alles selbst zu machen und bin ein großer Fan davon, auch Referendare und Studenten in die Content-Produktion einzubinden. Das heißt, wir haben schon sehr früh die Texte von Jurastudenten schreiben lassen und dann wurden die Texte nur noch von Anwälten abgenommen – sowohl für den Blog als auch für YouTube.

Und wenn es darum geht, die Videos zu machen, dann helfen uns Studenten der Filmhochschule.

Also auch da haben wir rechtzeitig darauf gesetzt, dass uns junge Leute unterstützen. Denn letztendlich ist es ein Medium der Jugend.

Ich selbst gehöre mit meinen 49 Jahren eher zum „alten Eisen“ und bin ganz froh, dass man mich noch mitmachen lässt.

Kerstin Zimmermann: Beginnen wir am Anfang: Wie kamen Sie dazu, sich auf diese Weise mit Ihrem Beruf medial zu präsentieren? Haben Sie Vorbilder? Und wenn ja, welche?

Christian Solmecke: Eigentlich muss ich in eine Zeit vor 34 Jahren zurückgehen. Ich war 15 Jahre alt und habe im Rahmen eines Berufspraktikums eine Zeit bei der Westfälischen Rundschau in meiner Heimatstadt Gevelsberg verbracht. Und da war ich der „rasende Reporter“. Ich habe über Kaninchenzüchtervereine, Ratssitzungen und Sportveranstaltungen geschrieben, war dann mit 17 Jahren Nachrichtensprecher beim Lokalsender Radio Ennepe-Ruhr-Kreis, später bei Radio Köln und habe auch für den WDR Nachrichten gemacht.

Insofern lag es nahe, dass ich auch in meinem eigentlichen Beruf als Jurist etwas mit Medien machen wollte. Wir sind zunächst so vorgegangen, dass wir die Medienszene beraten haben, d. h. wir vertreten auch heute noch Journalisten, Schauspieler und Fernsehproduktionsfirmen.

Aber da mir das persönlich auch ein bisschen im Blut lag, wollte ich das natürlich auch ausprobieren und so kam es, dass ich irgendwann angefangen habe, YT-Videos zu drehen. Zuerst mit einer einfachen Webcam und dann wurde es immer professioneller und wir haben uns auch Unterstützung geholt. Also eigentlich ist es aus meiner Leidenschaft für Reportagen entstanden, die schon 34 Jahre zurückliegt.

Kerstin Zimmermann: Wie fiel anfangs die Reaktion der Kollegen und Kolleginnen sowie der Branche zu Ihren Internet-Auftritten aus? Wie sind Sie mit negativem Feedback dazu umgegangen?

Christian Solmecke: Wir haben den YT-Kanal jetzt seit ca. 12 Jahren und die Reaktion der Kolleginnen und Kollegen war leider so, wie Anwälte oft auf Neuerungen reagieren: Mit Abmahnungen. D. h. wir haben einige Abmahnungen bekommen und mussten erst einmal gerichtlich prüfen lassen, ob diese Art der Darstellung für Anwälte überhaupt rechtskonform ist. Das ist dann in mehreren Urteilen festgestellt worden und glücklicherweise hat sich dann diese Abneigung, so stelle ich es jedenfalls fest, in den letzten Jahren in eine Art Respekt und Anerkennung gewandelt. Mittlerweile mache ich auch Coachings für andere Kanzleien und erkläre, wie man in den sozialen Netzwerken auf sich aufmerksam machen kann. Das hat sich in meinen Augen sehr zum Positiven verändert. Heutzutage ist die überwiegende Mehrheit der Anwaltschaft schon daran interessiert, neue Formen des Marketings auszuprobieren und da ist Social Media natürlich eine der Formen, die man neben dem Besuch von Veranstaltungen oder dem Halten von Vorträgen noch etablieren kann, um aus der Masse herauszustechen.

Kerstin Zimmermann: Mich interessiert Ihr Arbeitsalltag bzgl. der medialen Präsenz: Wonach suchen Sie die Themen in den Beiträgen aus? Dies tun Sie vermutlich nicht allein, wie viele Menschen arbeiten mit Ihnen daran? Wie viele Stunden Arbeitszeit werden für einen Beitrag benötigt?

Christian Solmecke: Eine Sache, die uns sicherlich auszeichnet, ist, dass wir alle Prozesse in der Kanzlei, die mehr als dreimal pro Woche anfallen, standardisieren. Das heißt, wenn wir sehen, dass wir jeden Tag YT-Videos produzieren wollen, dann haben wir dafür bestimmte Workflows entwickelt. Das eine ist, dass wir die ganze Woche über in unserem Slack-Kanal Themen sammeln, das heißt, jeder der Mitarbeiter postet Themenvorschläge und wir sammeln erst mal das, was jedem so einfällt. Jeder liest ja auch privat Texte von uns und dann kann man interessante Themen sammeln. Manchmal haben wir auch eigene interessante Themen, wenn wir selbst gute Urteile bekommen haben. Dann kommt das auch in die Themensammlung.

Montags ist dann immer Redaktionssitzung. Da sind wir insgesamt drei feste Mitarbeiter und fünf wissenschaftliche Mitarbeiter, die uns bei der Produktion der Inhalte unterstützen und an diesem Montag werden wir in der Regel so sieben Themen auswählen, die wir dann im Laufe der Woche auf YouTube umsetzen. Für mich persönlich sieht es so aus, dass ich ungefähr ein Thema pro Tag schaffe.

Ich versuche, jeden Morgen ein bis zwei Videos zu produzieren, und abends höre ich mir dann die Skripte an, die die wissenschaftlichen Mitarbeiter geschrieben haben. Ich lasse sie mir von einer Art künstlicher Intelligenz vorlesen. So habe ich abends schon ein bisschen das Thema im Kopf.

Morgens gehe ich noch mal mit dem Textmarker drüber und dann geht es in die Produktion.  Im Studio bin ich allein.

Ich habe mir ein eigenes Selbstfahrerstudio gebaut, wo ich quasi mit den Füßen die Bauchbinden einblenden kann und mit einem Stream Deck, was normalerweise Gamer benutzen, die Streams starten kann, also ich habe mir meine eigene Technik gebaut, um möglichst autark YouTube-Videos produzieren zu können. Das ganze Team, das die Inhalte produziert, besteht jetzt aus 10 Leuten. Es ist also sehr groß geworden. Man muss aber auch sagen, dass wir verschiedene Kanäle bedienen.

Kerstin Zimmermann: Thematisch sind Ihre Beiträge sehr breit gefächert, allerdings überwiegend an Verbraucher gerichtet. Funktioniert es deshalb so gut? Spricht etwas gegen eine fachliche Spezialisierung auf ein Rechtsgebiet?

Christian Solmecke: Wir haben mit dem YouTube-Kanal angefangen, wo wir nur unser Fachgebiet gezeigt haben. Da ging es nur um Urheberrechtsfragen. Das fand ich persönlich etwas langweilig, weil man nicht so viele Klicks bekommt.

Im Hinblick auf das Mandatsgeschäft war es nicht unbedingt schlechter, weil man ein kleines, feines, hochwertiges Mandatsgeschäft hatte und das sehen wir heute noch über unseren Expertenkanal. Da haben wir einen Bruchteil der Klicks pro Video, aber wir haben trotzdem sehr hochwertige Spezialmandate aus dem gewerblichen Bereich. Insofern kann man sagen, dass das eine Standbein der Kanzlei diese Verbrauchermandate sind, die wir über den großen YT-Kanal akquirieren und das andere Standbein sind die gewerblichen Mandate, die auch einen Großteil unseres Umsatzes ausmachen und die wir dann eher über Spezialvideos akquirieren, die dann nicht so viele Klicks bekommen.

Ich persönlich war schon immer eher der Rampensau-Typ, der gerne auf der Bühne steht und viele Menschen mit Jura begeistern möchte und zwar so, dass jeder Jura versteht.

Kerstin Zimmermann: Ich bin noch Studentin der Rechtswissenschaft. Mich interessiert daher Ihre Einschätzung, ob zukünftige Anwältinnen und Anwälte auf Online-Präsenz in umfangreicher Weise wie Ihrer angewiesen sein werden.

Christian Solmecke: Natürlich hat jeder sein eigenes Geschäftsmodell. Es gibt auch Kanzleien, die sehr gute Kooperationen mit Rechtsschutzversicherungen aufgebaut haben und so an ihre Mandate kommen. Ich will nicht sagen, dass die Online-Präsenz das Allheilmittel ist, es wird auch immer schwieriger, sich gegen die etablierten Kanäle, die es schon gibt, durchzusetzen.

Aber es entstehen auch immer wieder neue Plattformen. Wir haben zum Beispiel gesehen, dass ein „Herr Anwalt“ auf TikTok durchgestartet ist und damit, glaube ich, rund 5 Millionen Follower gewinnen konnte. Er hat sicherlich einen anderen Ansatz und geht dort nicht auf Mandatsakquise, aber trotzdem sieht man, es entstehen neue Plattformen und es entstehen neue Möglichkeiten. Und ich glaube, auch junge Leute sollten sich auf jeden Fall damit auseinandersetzen, wie man über moderne Akquise Methoden im Internet zu Geschäften kommt.

Und dazu gehören nicht nur die Social Media Möglichkeiten, die man heute über YT, Facebook, Instagram und so weiter hat, sondern auch die Performance Marketing Möglichkeiten. Das heißt, man kann auch Werbung auf Google, Facebook oder TikTok buchen. Da gibt es noch riesige Möglichkeiten. Wir haben jetzt die ersten Tests mit TikTok-Werbung gestartet und sehen, dass man da als Anwalt noch relativ allein auf weiter Flur ist, weil sich die meisten Anwälte noch nicht dorthin getraut haben. Das heißt aber auch, dass dort der Einkaufspreis für einen Lead, also einen Kontakt, noch besonders günstig ist und man dann eben relativ günstig am Ende auch ein Mandat bekommt, weil man dann eben die einzelnen Telefonate, die man mit den Kontakten führt, nicht so teuer bezahlen muss.

Kerstin Zimmermann: Sie sind der Initiator und Geschäftsführer der Kanzleisoftware Legalvisio. Diese trägt zur Digitalisierung und Organisation von Kanzleien bei. Was brachte Sie auf diese Idee? Wie haben Sie Digitalisierung in Ihrer eigenen Kanzlei umgesetzt?

Christian Solmecke: Eigentlich habe ich das Thema Digitalisierung der Kanzlei lange Jahre vernachlässigt. Ich habe mich auf das Marketing konzentriert und dabei völlig vergessen, dass das ganze Geschäft, das man im Marketing mitschleppt, auch abgewickelt werden muss. Und insofern haben wir erst mit einer Verspätung von 4-5 Jahren, nachdem schon sehr viel Geschäft da war, angefangen, auch die Prozessabläufe in der Kanzlei komplett zu digitalisieren und so kam es, dass ich eben vor 12 Jahren einen eigenen Entwickler eingestellt habe, der uns eine webbasierte Kanzleisoftware programmiert hat. Diese Kanzleisoftware automatisiert einen Großteil der anwaltlichen Arbeit.

Ein Beispiel: Wenn ein Schriftsatz der Gegenseite eintrifft, dann muss man auf diesen Schriftsatz antworten, einen Brief an die Rechtsschutzversicherung sowie den Mandanten schreiben. Das alles geht bei uns mit einem Klick. Diese Automatisierungslösung fand ich dann persönlich so gut, dass ich sie auch anderen Kanzleien zur Verfügung stellen wollte und dafür haben wir dann eine eigene Firma gegründet, die Legalvisio GmbH in Bonn. Dort arbeiten mittlerweile 100 Kanzleien mit der Legalvisio-Software und wir haben jetzt gerade noch eine Desktop-Kanzlei aus den 80er Jahren gekauft, den GKO Manager aus Köln, den wir erst mal weiterführen wollen, den wir dann aber auch auf die Legalvisio-Cloud-Software umstellen wollen und wir sehen, dass nach anfänglicher Zurückhaltung der Anwaltschaft gegenüber Cloud-Software mittlerweile alle wissen, dass sie selbst Dropbox oder Gmail nutzen und das auch Cloud-Dienste sind und damit die ersten Hürden genommen sind und wir mittlerweile auch eine große Offenheit der Anwaltschaft gegenüber dem Thema Cloud-Software sehen.

Kerstin Zimmermann: Zum Schluss ein Blick auf den IT-Rechtstag 2023: Was erhoffen Sie sich von der Veranstaltung? Gibt es etwas, auf das Sie sich besonders freuen?

Christian Solmecke: Naja, besonders freue ich mich auf den Abend, denn da werden meistens die besten Gespräche geführt. Entweder beim Essen oder an der Bar. Im Fokus steht für mich hier die Vernetzung, aber natürlich auch noch das Lernen von neuen Inhalten. Ich bin immer wieder erstaunt bei solchen Veranstaltungen, in welchen Nischen Kollegen ansonsten noch tätig sind und das gibt mir auch immer wieder neue Inspiration auch für evtl. neue Geschäftsfelder, die wir auftun können. Aber ganz klar für mich im Mittelpunkt bei solchen Veranstaltungen steht immer das Vernetzen und dann auch der Wissensaustausch.

Kerstin Zimmermann: Vielen Dank für das Gespräch.

Christian Solmecke

Christian Solmecke, Rechtsanwalt, WBS Rechtsanwälte, Köln

Kerstin Zimmermann

Kerstin Zimmermann, Studentische Hilfskraft, HK2 Rechtsanwälte