Software in der Insolvenz – unter Berücksichtigung der aktuellen BGH-Rechtsprechung und der Aktualisierungspflicht gem. § 327f BGB
Im Gespräch mit Frau Dr. Alin Seegel
Samuel Hartmann: Guten Tag Frau Dr. Seegel. Wir durchleben unsichere Zeiten. Eine Krise jagt die nächste, Preissteigerungen schwächen die Kaufkraft privater Haushalte und auch die Investitionsbereitschaft leidet. Letztes Jahr hat die Zahl der Unternehmensinsolvenzen erstmals seit 2009 wieder zugenommen. Was denken Sie: Wie groß sind die Sorgen, die sich insbesondere IT-Unternehmen für 2023 machen müssen?
Dr. Alin Seegel: Ich denke, dass man das nicht allgemein sagen kann, ob sich IT-Unternehmen für 2023 und die dann folgenden Jahre Sorgen machen müssen. Es kommt vielmehr darauf an, inwieweit das individuelle IT-Unternehmen etwa von dem „Dämpfer“ Corona-Pandemie und den Lieferkettenproblemen für IT-Hardware betroffen war und noch betroffen sein wird. Hinzu kommt, dass wohl insbesondere öffentliche Auftraggeber aufgrund des Ukraine Krieges Aufträge verschieben. Hier sind natürlich nur IT-Unternehmen betroffen, die Auftraggeber im öffentlichen Bereich haben. Manche können den Wegfall dann durch andere Projekte kompensieren und manche nicht. Dasselbe gilt für die gestiegenen Preise für Energie und Kredite.
Samuel Hartmann: Sie werden beim diesjährigen Deutschen IT-Rechtstag einen Vortrag zum Thema „Software in der Insolvenz“ halten. Die Insolvenz von Softwareanbietern birgt ein hohes Risiko für alle Unternehmen, die auf die Nutzung der Programme des Anbieters angewiesen sind. Welche konkreten Probleme ergeben sich denn für die Lizenznehmer einer Unternehmenssoftware, wenn der Lizenzgeber auf einmal insolvent wird?
Dr. Alin Seegel: Wenn über das Vermögen des Lizenzgebers einer Unternehmenssoftware das Insolvenzverfahren eröffnet wird, ergeben sich für den Lizenznehmer folgende Standard-Probleme/Fragen:
- Was geschieht mit Lizenzvertrag, mit dem den Lizenznehmer die Nutzungsrechte (einfache oder ausschließliche, nur auf bestimmte Zeit oder dauerhaft) an der Unternehmenssoftware eingeräumt wurde?
- Was geschieht mit dem eingeräumten (idR dinglichen) Nutzungsrecht an der Unternehmenssoftware?
- Was geschieht mit eventuell eingeräumten Unterlizenzen an Dritte?
- Ist die erforderliche zukünftige Pflege der Unternehmenssoftware sichergestellt? (Zugriff auf Quellcode?)
- Soweit der insolvente Lizenzgeber Daten vom Lizenznehmer hat, (insb. im Falle von SaaS): wie kommt der Lizenznehmer an die Daten?
Samuel Hartmann: Kann der Lizenznehmer dem Risiko, eine Unternehmenssoftware bei Insolvenz des Lizenzgebers nicht mehr nutzen zu können, bereits bei der Vertragsgestaltung begegnen? Was würden Sie ihm raten?
Dr. Alin Seegel: Ja, dieses Risiko kann der Lizenznehmer mit entsprechender Vertragsgestaltung begegnen. Idealerweise ist der Lizenzvertrag so zu gestalten, dass das Verwalterwahlrecht aus § 103 Abs. 1 InsO nicht greift, sodass der Lizenzvertrag „insolvenzfest“ ist. Das ist nach mittlerweile herrschender Rechtsprechung der Fall beim Lizenzkauf (ohne gleichzeitige Vereinbarung von Pflegeleistungen). Ist bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Lizenz bereits erteilt und der Kaufpreis gezahlt, ist der Lizenzvertrag erfüllt und der Verwalter hat kein Wahlrecht. Seit einem BGH Urteil aus dem Jahre 2019 gilt das selbst dann, wenn noch Nebenpflichten aus dem Vertrag offen sind.
Die Ausgestaltung als Kauflizenz passt aber nicht immer. Insb. wenn das Unternehmen seine Software aus der Cloud nutzen will, ist der Weg über eine Kauflizenz nicht möglich. In solchen Fällen könnte man seit BGH M2Trade durch „Vorschalten“ eines Hauptlizenznehmers eine bestandskräftige Unterlizenz versuchen „vertraglich zu konstruieren“.
Samuel Hartmann: Sie berücksichtigen in Ihrem Vortrag auch die aktuelle Rechtsprechung des BGH. Welche Tendenz weist diese auf? Erweist sich der BGH als besonders „lizenznehmerfreundlich“?
Dr. Alin Seegel: Nein, das würde ich nicht sagen. Es sind mit den BGH Entscheidungen zu „Softwarenutzungsrecht“, „Reifen Progressive“, „M2Trade“, „Ecosoil“ und zu § 103 InsO mit Blick auf Haupt- oder Nebenpflichten zwar einige Entscheidungen ergangen, die sich zugunsten des Lizenznehmers in der Insolvenz des Lizenzgebers auswirken. Im Ergebnis war die positive Auswirkungen aber immer reine Rechtsfolge der Anwendung der urheberrechtlichen oder insolvenzrechtlichen Thematik, die der BGH entschieden hat.
Samuel Hartmann: Sehen Sie dennoch Handlungsbedarf für den Gesetzgeber oder genügt die bisherige Rechtsprechung, um Softwarelizenzverträge ausreichend insolvenzfest zu machen?
Dr. Alin Seegel: Meiner Ansicht nach besteht der gesetzgeberische Handlungsbedarf noch. Der typische Fall des Softwarelizenzvertrages – nämlich die Einräumung von befristeten Nutzungsrechten – ist schließlich in Deutschland (per Gesetz) nicht insolvenzfest geregelt. Das Vertragskonstrukt „Vorschalten eines Hauptlizenznehmers“ ist meiner Auffassung nach nicht rechtssicher und darüber hinaus natürlich auch rechtlich und tatsächlich kompliziert
Samuel Hartmann: Mit der Schuldrechtsreform letztes Jahr wurde unter anderem der § 327f BGB eingefügt, welcher Unternehmer verpflichtet, regelmäßig Aktualisierungen für sein digitales Produkt bereitzustellen. Wie fügt sich der § 327f BGB, der ja schließlich dem Schutz von Verbrauchern dient, in die Problematik ein?
Dr. Alin Seegel: Im konkreten Einzelfall könnte die Aktualisierungspflicht gem. § 327 f BGB Auswirkungen auf die Insolvenzfestigkeit eines Softwarekaufvertrages haben. Schließlich erhält der Softwarekaufvertrag (ähnlich dem Mietvertrag) durch die Aktualisierungspflicht einer Dauerschuldkomponente, die es gilt insolvenzrechtlich einzuordnen.
Samuel Hartmann: In einem Beitrag bei CR-online vom 27.07.2020 befürchteten Sie, infolge der Covid-Pandemie würde eine Insolvenzwelle von bisher nicht gekanntem Ausmaß eintreten. Würden Sie nun retrospektiv sagen, Ihre Befürchtungen haben sich bewahrheitet?
Dr. Alin Seegel: Klares nein, haben sie nicht. Die damals von den Wirtschaftsexperten hervorgesagte Insolvenzwelle ist ausgeblieben. Als Gründe hierfür werden die enormen staatlichen Coronahilfen und die ausgesetzte Insolvenzantragspflicht genannt.
Samuel Hartmann: Ihr Tätigkeitsbereich geht ja weit über insolvenzrechtliche Fragen hinaus. Haben Sie ein Lieblingsgebiet im IT-Recht? Gibt es auf dem diesjährigen Deutschen IT-Rechtstag bestimmte Vorträge, die Ihr Interesse besonders geweckt haben?
Dr. Alin Seegel: Mein absolutes Lieblingsgebiet ist die IT-Vertragsgestaltung! Da wir auch öffentliche Auftraggeber bei der Vertragsgestaltung beraten, freue ich mich sehr auf den Vortrag zu den neuen EVB-IT Cloud.
Samuel Hartmann: Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Alin Seegel, Rechtsanwältin, CSW Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer, München
Samuel Hartmann, HK2 Rechtsanwälte