Dr. Bernhard Hörl referiert am 23. April 2021 auf dem 8. Deutschen IT-Rechtstag zum Thema „Immer mehr IT-Verträge mit Hyperscalern: AGB von Amazon & Co. – prüfen oder ablegen?“. In unserem Vorab-Interview gibt der Rechtsanwalt neben ersten Tipps zum Umgang mit Cloud-Diensten im Unternehmen auch Einblicke in Herausforderungen und Möglichkeiten im Arbeitsalltag eines Inhousjuristen. 

Dittrich: Herr Dr. Hörl, ein kurzer Rückblick: Vor über 20 Jahren begann Ihre Karriere als Rechtsanwalt – seit jeher im Bereich des IT-Rechts. Sie leiten nunmehr seit geraumer Zeit die Rechtsabteilung eines führenden IT- und Outsourcing-Dienstleisters. 

Inwiefern unterscheidet sich die Tätigkeit im Unternehmen zum Anwaltsberuf im Kanzleialltag? Welche wichtigen Eigenschaften sollten Berufseinsteiger*innen mitbringen? Worauf müssen sich Rechtsanwält*innen einstellen, wenn sie von der Kanzlei ins Unternehmen wechseln?

Dr. Hörl: Ja, 20 Jahre sind sehr schnell vergangen – einerseits. Andererseits ist definitiv die Arbeitswelt heute nicht mit derjenigen aus den 90ern vergleichbar, ganz besonders nicht in der Technologiebranche. Die Digitalisierung hat nicht nur Arbeitsabläufe grundlegend verändert, sondern auch die Erwartungshaltung der Kollegen, Kunden und Mandanten an Erreichbarkeit und Antwortzeit. Und die Digitalisierung stellt gerade auch die Arbeitsinhalte der Inhousejuristen grundlegend auf den Kopf. Das geht bei einem Technologieunternehmnen als Arbeitgeber wahrscheinlich noch einmal ein ganzes Stück schneller als in Kanzleien, was ich persönlich super spannend finde. 

Gleichzeitig steigt in vielen Bereichen die Komplexität, auch getrieben durch Rechtsprechung und Regulatorik. Juristen müssen sich daher heute schneller in immer wieder neue Themen einfinden und vor allem den Blick über den Tellerrand beherrschen, also auch in nichtjuristischen Themen trittsicher sein. Dies spielt Inhouse noch eine viel größere Rolle als in der Kanzlei. Ich sage immer, die Arbeit des Inhousejuristen fängt dort an, wo die des externen Anwalts aufhört: Es gilt zu entscheiden, ob die auf dem Papier bestehenden Risiken aus einem Vertrag unternehmerisch in Kauf genommen werden sollten oder nicht. Auf diese Entscheidungen hinzuwirken, ist die Kernaufgabe des Inhousejuristen. Bei meinem Arbeitgeber Computacenter zum Beispiel stehen für die Juristen neben der eigentlichen juristischen Fachexpertise auch kommerzielle, technische und vertriebliche Fragestellungen und das übergreifende Projektmanagement im Fokus. Die Kernfrage ist immer: Können wir unsere eigenen einzugehenden Vertragspflichten erfüllen, und können wir uns auf die Zusagen des Vertragspartners so verlassen, wie wir das zum Geldverdienen und zur Risikoabsicherung brauchen? Das ist dann gleichzeitig aber auch eine gute Basis für diejenigen, die aus der Rolle des Unternehmensjuristen heraus z.B. den Schritt ins Management gehen wollen. Die Unternehmenswelt ist vielfältig und bietet gerade Juristen eine Vielzahl an Karrierepfaden. Dabei schadet es sicherlich nicht, vor dem Schritt in die Syndikustätigkeit auch die Welt einer Kanzlei kennengelernt zu haben und erste Berufserfahrung schon mitzubringen. Der Berufsstart, egal wo er denn stattfindet, fällt dabei sicherlich den Einsteiger*innen leichter, die neugierig und aufgeschlossen sind, selbständig arbeiten wollen und über eine hohe Eigenmotivation und Stressresistenz verfügen. Freude am Umgang mit Menschen sollte selbstverständlich sein.

Dittrich: In Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Home-Office greifen immer mehr Unternehmen auf digitale Lösungen zurück. Aber auch im Privatbereich sind die Team-Meetings und Zoom-Calls nicht mehr wegzudenken. Inwiefern hat sich Ihr Arbeitsalltag im vergangenen Jahr verändert?

Dr. Hörl: Mein Privatleben hat natürlich weitaus größere Änderungen erfahren. Im beruflichen Bereich waren die Veränderungen auf den ersten Blick gar nicht so radikal. Homeoffice, Videokonferenzen, Kollaboration und Führen auf Distanz, all das war schon vor Corona tägliche Praxis. Aber auf den zweiten Blick hat die Pandemie doch einiges Neuland gebracht: wir haben zum Beispiel in 2020 Verstärkung durch zwei neue Teammitglieder in der Rechtsabteilung bekommen. Beide haben sich zu 100% aus dem Homeoffice eingearbeitet, Das hat bestens geklappt, sie fühlen sich nicht nur wohl bei uns, sondern finden sich inzwischen super zurecht in einem Unternehmen mit fast 20.000 Mitarbeitern weltweit. Ich war selbst überrascht, wie gut das geht – auch das wäre ohne Digitalisierung schlicht unmöglich gewesen. Einige der über 150.000 Teams-Sessions pro Woche bei Computacenter gehen auf unser Konto… Und was das Privatleben betrifft: Statt gemütlichem Beisammensein mit Freunden und Familie gibt’s eben Videocalls und Onlineweinproben. Das fand ich persönlich schon einschneidend und den persönlichen Kontakt vermisse ich sehr – das geht jedem von uns so. Aber das wird sich irgendwann einmal wieder ändern.

Dittrich: Kommen wir zum Deutschen IT-Rechtstag 2021: Mit ihrem Vortrag zum Thema „Immer mehr IT-Verträge mit Hyperscalern: AGB von Amazon & Co. – prüfen oder ablegen?“ werfen Sie einen Blick auf die großen Cloud-Plattformen, wie AWS, Google Cloud Services und Microsoft Azure. Können Sie uns – ohne zu viel vorweg zu nehmen – einen Vorgeschmack gewähren?

Dr. Hörl: Die großen Cloudanbieter haben ihr Portfolio auf hunderte verschiedene Cloudleistungen ausgebaut, Tendenz immer weiter stark wachsend. Das kann vielen Unternehmen sehr helfen, Technologie schneller, stabiler und sicherer einsetzen zu können und dabei gleichzeitig Geld und Komplexität zu sparen. Kann helfen, muss aber nicht – denn die Auswahl der richtigen Cloudleistungen wird für Kunden immer komplexer. Welche Leistung von welchem Anbieter passt am besten? Inzwischen ist eine eigene Beraterindustrie entstanden, um Kunden genau diese Frage zu beantworten.

Dittrich: Die Nutzung der gängigen Anwendungen setzt die Zustimmung zu den jeweiligen AGB voraus. Dabei besteht nahezu keinerlei Verhandlungsspielraum. Inwieweit sehen Sie dennoch Handlungsoptionen? Worauf sollten die beratenden Anwält*innen achten – Wie sollten sie verfahren?

Dr. Hörl: Ohne Cloudleistungen kommt heute kaum ein Unternehmen mehr aus –man schaue nur auf Videokonferenz-Tools und dergleichen, die wir alle an jedem Pandemie-Arbeitstag nutzen. Cloudanbieter-AGB sind quasi unverhandelbar, was unter dem Blickwinkel der einheitlichen Skalierbarkeit der Cloudleistungen auch nachvollziehbar ist. Vielleicht sollte man deshalb Cloud-AGB ähnlich betrachten wie die Beförderungsbedingungen in der Straßenbahn oder wie die Bank-AGB fürs Girokonto? Soll heißen: das Kleingedruckte muss ich akzeptieren, kann sich jederzeit ändern, und wenn es mir nicht mehr passt, kann ich aussteigen… Das anwaltliche Beratungsgeschäft jedenfalls ändert sich gravierend: Wenn Änderungswünsche an Cloud-AGB unerfüllt bleiben, hat kein Cloud-Kunde etwas von schlauen theoretischen Änderungsvorschlägen des eigenen Anwalts. Vielmehr ist es dem Cloud-Kunden wichtig, vom eigenen Anwalt im Klartext zu erfahren, auf welche Verträge er sich einlässt und wo die praxisrelevanten Risiken tatsächlich liegen. Dazu muss man als Anwalt die Verträge inhaltlich verstehen. Technikverständnis, eine gewisse Marktkenntnis und Rechtsenglisch werden hierfür immer wichtiger.

Dittrich: Die Vorteile der großen Cloud-Dienste für Unternehmen sind nicht von der Hand zu weisen. Sie bieten Kalkulierbarkeit und Flexibilität durch eine anpassbare IT-Infrastruktur mit vielfältigen Möglichkeiten. Allerdings sehen viele Anwender den sog. Lock-in Effekt als erheblichen Nachteil.

Wie kann man eine solche Abhängigkeit vermeiden? Welche Rolle spielt hierbei Multi-Cloud-Sourcing?

Dr. Hörl: Je digitaler ein Geschäftsmodell eines Cloud-Kunden, desto tiefer ist potentiell die Integration dieses Kunden mit Cloud-Anbietern. Da kann schon eine gewisse Abhängigkeit entstehen. Durch Multi-Sourcing lässt sie sich oft abfedern – auch wenn der Wechsel eines Cloudproviders nicht ganz so einfach scheint wie der des Lieferanten für Gehäuseschrauben. Solche Fragen sollte sich jeder Cloudkunde stellen, bevor kritische Geschäftsprozesse zu einem Anbieter verlagert werden. Dabei spielt das Vertragliche auch eine große Rolle, was die rechtliche Beratung in meinen Augen umso spannender macht.

Dittrich: Ein Motto des Deutschen IT-Rechtstages 2021 lautet – „Die IT-Rechtsberatung in der Überregulierung“: Mit Blick auf aktuelle Themen im IT-Recht – Wie schätzen Sie die Entwicklung ein? Welche Änderungen wünschen Sie sich für die Zukunft?

Dr. Hörl: Was ich mir von der Legislative wünsche? Fuß vom Gas bitte und mehr Zutrauen in die Selbstregulierung der Märkte, ganz klar. Und wenn ich schon beim Wünschen bin: liebe Datenschutzbehörden, bitte mehr Einheitlichkeit innerhalb Deutschlands bei den verschiedenen Themen und vor allem kein Überbietungswettbewerb für Verbote. Das ist im internationalen Vergleich alles andere als hilfreich, sondern schadet im Gegenteil dem Wirtschaftsstandort Deutschland ganz massiv. Beispiel Schrems 2: Nach dieser Entscheidung hat sich im letzten Jahr für fast jede Extremposition zur Unterbindung von Datentransfers in die USA mindestens eine deutsche Datenschutzbehörde ausgesprochen. Aber praktisch umsetzbare Vorschläge, wie Unternehmen die Zwischenzeit in ungewisser Rechtslage überbrücken sollten? Eher Fehlanzeige, finde ich. Wem hilft das, frage ich mich, wenn die US-Datentransfers unverzichtbar sind?

Dittrich: Ich danke Ihnen herzlich für das Interview und Ihre Zeit.

RA Dr. Bernhard Hörl

referiert auf dem 8. Deutschen IT-Rechtstag zum Thema „Immer mehr IT-Verträge mit Hyperscalern: AGB von Amazon & Co. – prüfen oder ablegen?“

Das Interview führte Elisa Dittrich, wissenschaftliche Mitarbeiterin
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