Digitales Vertragsrecht: Neue Anforderungen an die Produkt- und Vertragsgestaltung und Praxisbeispiele
Im Gespräch mit Frau Dr. Kristina Schreiber
Charlotte Albach: Frau Dr. Schreiber, ohne zu viel zu verraten: Würden sie uns einen kleinen Einblick geben, was uns in ihrem Vortrag erwartet?
Dr. Kristina Schreiber: So viel kann ich in jedem Fall verraten: Es wird sehr anwendungsorientiert. Die geplanten 2 Blöcke geben mir dabei die Chance, zunächst einen Gesamtüberblick über die Auswirkungen auf die Praxis zu geben, um danach, im zweiten Block, ganz konkret Anwendungsbeispiele mit dem Auditorium zu gestalten: Wie sieht die Vereinbarung einer subjektiven Beschaffenheit im Registrierungsprozess aus? Und wie genau müssen Verbraucher über neue Updates informiert werden? Gerade auf diese Kombination der beiden Blöcke freue ich mich besonders!
Charlotte Albach: Gegenüber dem C.H. Beck Verlag sagten Sie, ein neues Vertragsrecht für digitale Angebote bringe einen Umbruch in der tradierten Vertragsrechtslehre. Können Sie diesen Gedanken etwas ausführen? Welchen Umbruch erwarten Sie und wann wird er ihrer Meinung nach kommen?
Dr. Kristina Schreiber: Ein „Umbruch“ bringt oftmals auch Unruhe mit sich – die bleibt nach meiner Wahrnehmung bislang noch ein wenig aus. Dennoch bleibe ich dabei: Die neuen Regelungen zum Vertragsrecht für digitale Produkte läuten einen Umbruch im Vertragsrecht ein. Und das gleich aus zweierlei Gründen: Zunächst einmal ganz dogmatisch – es gibt jetzt Vorgaben zum Gewährleistungsrecht, Minderung und anderen Sekundärrechten ganz unabhängig vom Vertragstyp, angeknüpft alleine an den Produkttyp. Das ist neu, da bislang immer zunächst der Vertragstyp definiert werden musste, um das „richtige“ gesetzliche Gewährleistungsregime zu finden. Bei Verträgen über digitale Produkte wie Software, Apps oder Plattformen war das oft ganz schön schwierig und Hilfslösungen mit „typengemischten Verträgen“ mussten her. Das ist jetzt nicht mehr nötig, die §§ 327 ff. BGB gelten unabhängig vom Vertragstyp.
Und darüber hinaus: Das tradierte Bürgerliche Gesetzbuch wird modern. Es öffnet sich ganz explizit der technologischen Entwicklung. Das alleine wäre schon Grund genug, um von einem „Umbruch“ zu sprechen. Wann dieser richtig spürbar wird, bleibt abzuwarten. Gekommen ist er eigentlich schon zum Anwendungsstart am 1. Januar 2022. So richtig durchgesetzt hat sich diese Erkenntnis aber wohl noch nicht. Spätestens die ersten (Verbraucherschutz-) Klagen werden dies ändern.
Charlotte Albach: Inwiefern denken Sie, dass die Corona-Pandemie und die daraus resultierende zwangsweise Digitalisierung vieler Bereiche die neuen Anforderungen an das Vertragsrecht umso aktueller und notwendiger gemacht hat? In welchem Maß hat diese Situation eventuell sogar dazu beigetragen, dass deutlicher wurde, was in diesem Bereich besonders drängt und was nicht?
Dr. Kristina Schreiber: Viele Unternehmen haben im Zuge der Corona-Pandemie und der Auswirkungen auf sämtliche Lebensbereiche ihre digitale Produktentwicklung vorangetrieben. Unternehmen, die traditionell rein analog agieren, haben digitale Ergänzungen geschaffen. Unternehmen aus dem B2B-Bereich schaffen Kontaktmöglichkeiten zu den ihre Produkte nutzenden Endkunden mit Treue-Apps uvm. Alleine diese enorme Zunahme der Angebote macht spezifische Vertragsregelungen für diese digitalen Produkte immer wichtiger. Von den Erkenntnissen der Corona-Pandemie geprägt ist das neue Vertragsrecht aber (noch) nicht, es setzt eine EU-Richtlinie von 2019 um, die mithin schon vor der Corona-Zeit erlassen worden war. Bei der Behebung des in der Corona-Pandemie sehr deutlich gewordenen Defizits in der Digitalisierung gerade der öffentlichen Bereiche wird das neue Recht indes nicht helfen können. Dafür bedarf es anderer Regelungen.
Charlotte Albach: Was ist ihre persönliche Meinung zur BGB-Novellierung? Wurde alles ausreichend erfasst oder fehlt etwas? Was halten sie von der gewählten Gesetzessystematik – welche Auswirkungen hat die Novellierung nach ihrer Einschätzung auf das bisherige Kauf- und Gewährleistungsrecht?
Dr. Kristina Schreiber: Ich selber sehe die BGB-Novellierung persönlich zweigeteilt, mit Licht- und Schattenseiten: Positiv bewerte ich die gewählte Gesetzessystematik. Von der zwingenden Zuordnung zu einzelnen Vertragstypen abzurücken, war die richtige Entscheidung. Die Typenlehre ist bei der Bereitstellung digitaler Produkte nicht mehr derart wesentlich, wie für das Auto oder den Einbauschrank. Von der konkreten Umsetzung hätte ich allerdings mehr erwartet: Der Gesetzgeber hat eine Vielzahl der Richtlinien-Vorgaben beinahe 1:1 in das deutsche Recht umgesetzt. In der Anwendung bleiben so viele Fragen unbeantwortet. Das bringt Rechtsunsicherheit. Hier hätte der Gesetzgeber für mehr Klarheit sorgen können. Ein Beispiel hierfür ist die Dauer der Aktualisierungspflichten: Der Gesetzgeber verweist dazu, wie auch die Richtlinie, auf die objektive Erwartungshaltung der Verbraucher. Was aber ist diese Erwartungshaltung? Und wie wird sie bestimmt?
Gerade dies ist denn auch ein Punkt, der ganz erhebliche Auswirkungen auf das bisherige Kauf- und Gewährleistungsrecht haben kann: Bisher hatten wir klar definierte Gewährleistungsfristen. Das gibt es so nicht mehr, jedenfalls nicht für Updates, die womöglich deutlich länger bereitgestellt werden müssen. Dies wird für die Verbraucher hilfreich – sie erhalten für die gesamte Nutzungsdauer benötigte Updates, also für die digitalen Bedienelemente einer hochwertigen Waschmaschine womöglich über 10 Jahre und länger. Für Unternehmen wird dies teuer (außer, sie gestalten ihre Verträge gut und begrenzen die Updatepflichten wirksam).
Charlotte Albach: Am 13.01.2022 ist ihr Buch „Digitale Angebote – Neuer Rechtsrahmen für ihre Entwicklung von der Idee bis zum Vertrieb“ erschienen. Was war ihre Motivation bei diesem Werk und was erwartet die LeserInnen?
Dr. Kristina Schreiber: Mit dieser Frage sprechen Sie eines meiner Herzensprojekte an: Der Praxisleitfaden „Digitale Angebote“ ist unmittelbar aus unserer Praxiserfahrung heraus, unserem Austausch mit Mandanten und Kollegen in der täglichen Arbeit und auf Veranstaltungen etc., entstanden. Wir sind seit Jahren immer wieder mit der Problematik konfrontiert, dass hervorragende SyndikusanwältInnen, innovative Entwickler und erfahrene KollegInnen bei Rechtsfragen rund um digitale Produkte unsicher werden, „was denn nun gilt“. Sind es die BGB-Regelungen, die auch für den Kauf analoger Sache gelten? Was ist mit dem Datenschutzrecht, dem Urheberrecht oder auch dem klassischen IT-Recht fußend auf EVB-IT usw. – gilt all das auch für digitale Produkte wie das Online-Spiel, die App im Appstore oder die webbasierte Plattform?
Für all diese Fragen gibt es wirklich gute Kommentarliteratur, umfassende Handbücher geben Hintergrundinfos. Aber um diese zu nutzen, muss ich wissen, um welches Rechtsproblem es überhaupt geht. Unser Ansatz ist daher ein anderer: Wir denken und schreiben parallel zur Produktentwicklung, beginnend bei der Beschaffung von Standardsoftware oder auch Entwicklerleistungen über die Gestaltung von Datenflüssen und Graphic User Interface, über das Schreiben der Nutzungsbedingungen, der Datenschutzhinweise und der Gestaltung des tatsächlichen Vertriebs bis hin zur Beendigung der Marktbereitstellung. Zu all diesen Stufen im Lebenszyklus eines Produktes finden die LeserInnen in unserem Buch Anknüpfungspunkte und einen Überblick, was rechtlich gilt. Die Standardfälle lassen sich damit lösen und für die komplexen Fälle ist damit klar, zu welchen konkreten Rechtsfragen weiter recherchiert werden kann. Mein klares Ziel war und ist es, eine echte Praxishilfe zu schaffen. Die ersten Rückmeldungen dazu sind sehr positiv, so dass ich hoffe, dass dies auch wirklich geklappt hat!
Charlotte Albach: Wann und wie wurde Ihr Interesse für das IT-Recht, insbesondere das Datenschutzrecht geweckt? Welchen Tipp würden Sie heute jüngeren angehenden IT-JusristInnen mitgeben?
Dr. Kristina Schreiber: Zum IT- und Datenschutzrecht bin ich durch Zufall gekommen. Ich komme ursprünglich aus dem Regulierungsrecht, bin Fachanwältin für Verwaltungsrecht. Promoviert und in den ersten Berufsjahren gestartet bin ich im Telekommunikations-, Energie- und Postrecht. Diese Wurzeln begleiten mich bis heute, aus dem Telekommunikationsrecht heraus ist dann aber meine Affinität (und heute auch mein ganz klarer Schwerpunkt) im IT- und Datenschutzrecht entstanden: Fälle zum Telekommunikationsdatenschutz gab es auch schon vor Inkrafttreten der DSGVO und einige besonders spannende durfte ich mit beraten. Dies hat mein Interesse geweckt an den technischen (IT-) Zusammenhängen und der zentralen Frage, welche Daten dürfen eigentlich wann und wofür verarbeitet werden? Damit war der Grundstein für meine Passion rund um Datennutzung, Datenschutz und damit natürlich auch die dafür eingesetzten IT-Systeme geweckt. Dies hat sich über die letzten Jahre immer weiterentwickelt, so dass ich nun meinen Arbeitsalltag maßgeblich mit genau diesen Themen gestalte. Diese Entwicklungsmöglichkeiten waren auch genau das, was mich seinerzeit an der Juristerei und dann auch ganz besonders am Anwaltsberuf gereizt hat. Denn: Dort, wo echtes Interesse liegt, sind auch Höchstleistungen möglich!
Den angehenden JuristInnen rate ich daher immer wieder, auf die eigenen Interessen zu hören. Wer sich für die Digitalisierung interessiert, ist im IT- und Datenschutzrecht genau richtig. Besondere Freude finde ich immer wieder daran, jenseits des „Rechts“ neue Einblicke zu bekommen und zu lernen. Und genau das ist auch mein Tipp an alle angehenden IT-JuristInnen: Bleibt neugierig und nutzt die Beratungsprojekte, um zu lernen, von Entwicklern, Marketing- und User Experience Spezialisten!
Charlotte Albach: Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Was erhoffen Sie sich vom neuen Rechtsrahmen für digitale Produkte?
Dr. Kristina Schreiber: Wenn ich einen Ausblick in die Zukunft wagen darf, so hoffe ich, dass der neue Rechtsrahmen für digitale Produkte nur der Anfang ist: Es ist immens wichtig, dass unser Recht zunehmend entwicklungsoffen gestaltet wird. Die Technik wird dem Gesetzgeber immer einen Schritt voraus sein. Entwicklungsoffene Regelungen sind darauf eine gute Antwort. Ganz konkret von den neuen Regelungen für digitale Produkte erhoffe ich mir eine praxistaugliche Auslegung auch durch die Gerichte, die den Verbraucherschutz im Blick hat, aber zugleich Innovationen stützt. So sollte etwa keine zu strenge Auslegung der Änderungsbefugnisse kommen, damit auch künftig noch „Markttests“ von neuen Produkten möglich sind, ohne dass nachher etliche verschiedene Versionen über Jahre mit Updates versorgt werden müssen.
Abschließend erlauben Sie mir noch ein herzliches Dankeschön für Ihre so interessanten Fragen. Ich freue mich sehr auf den weiteren Austausch zu diesen – und vielen anderen – Themen auf dem 9. Deutschen IT-Rechtstag in Berlin!
Dr. Kristina Schreiber, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Loschelder Rechtsanwälte, Köln
Charlotte Albach, HK2 Rechtsanwälte