Agile Software-Projekte – Was Rechtsanwälte/-innen wissen sollten

Im Gespräch mit Herrn Dr. Sebastian Selka

Samuel Hartmann: Herr Dr. Selka, agiles Projektmanagement wird immer beliebter und seine Relevanz ist auch für JuristInnen nicht zu leugnen. Für die Praxis von IT-RechtsanwältInnen können dabei insbesondere Kenntnisse zu agiler Software-Entwicklung erforderlich sein, weshalb Ihr Vortrag „Agile Software-Projekte – Was Rechtsanwälte/-innen wissen sollten“ auf dem Deutschen IT-Rechtstag 2023 mit Spannung erwartet werden darf. Würden Sie bitte in wenigen Worten einmal grundsätzlich aufzeigen, was unter einem agilen Software-Projekt zu verstehen ist?

Dr. Sebastian Selka: Nachdem sich in den vielen Jahren der Software-Entwicklung in der Vergangenheit gezeigt hat, dass Software-Entwicklungsprozesse oft komplex sind und wesentliche Anforderungen an die Software zumeist zu Beginn unklar sind, wurde es nötig, von den langfristigen Planungen einer Software abzuweichen und diese mehr ad-hoc und flexibel zu implementieren. Agile Software-Entwicklung ist ein Ansatz dieser Situation zu begegnen. Im Kern dreht sich Agilität um vier essentielle Werte und zwölf Prinzipien, die im agilen Manifest 2001 u.a. von Jeff Sutherland und Ken Schwaber zusammengetragen wurden. Im Kern geht es darum, schnell auf Änderungen reagieren zu können und Individuen (hauptsächlich die Entwickler:innen) und ihre Interaktionen, funktionierende Software, die Zusammenarbeit mit dem Kunden und das Reagieren auf Veränderung in den Fokus zu stellen.

Samuel Hartmann: Der Anteil fehlgeschlagener IT-Projekte ist immens. Eine Studie des Project Management Institutes von 2017 belegt, dass 14 % aller Software-Projekte vollständig scheitern, 31 % die gesteckten Ziele nicht erreichen, 43 % das Budget überschreiten und 49 % die Deadlines nicht einhalten. Erschreckende Zahlen – Warum setzen jetzt immer mehr Unternehmen auf eine agile Softwareentwicklung im Vergleich zu herkömmlichem Projektmanagement, beispielsweise der Wasserfallmethode? Welche Vorteile bietet sie?

Dr. Sebastian Selka: Die Vorteile der agilen Software-Entwicklung liegen schlicht in der Reaktionsfähigkeit auf Veränderung – und darin, Dinge weg zu lassen, um sich auf die wirklich Mehrwert stiftenden Features einer Software zu fokussieren. Allerdings passieren hier auch leichte Fehler (auf die man wieder schneller reagieren kann), weshalb sich dieses Vorgehensmodell nicht unbedingt für Raketenwissenschaft oder Umgebungen wie etwa Medizintechnik, die mit Leib und Leben in Berührung kommen, eignet.

Samuel Hartmann: Der andauernden und offenen Kommunikation zwischen den Stakeholdern kommt im Rahmen agiler Projekte eine elementare Bedeutung zu. An welchen Stellen eines agilen Projektes sollten aber auch JuristInnen involviert sein?

Dr. Sebastian Selka: Das kommt auf die zu entwickelnde Software an. In jedem Fall macht eine rechtsanwaltliche Perspektive auf die Teile der Software Sinn, die mit personenbezogenen Daten in Berührung kommen. Oder wenn Software in regulierten Bereichen eingesetzt wird, bei der rechtliche Rahmenparameter zu berücksichtigen sind. Insofern macht es Sinn, wenn Jurist:innen als Teil der Stakeholder betrachtet werden und diese explizit Anforderungen an die Software definieren, die entsprechend zu berücksichtigen sind. So könnte etwa der/die Produktverantwortliche (→ Product Owner) regelmäßig mit Jurist:innen im Austausch stehen oder diese selbst an den iterativen Produkt-Vorstellungen (→ Review-Sessions) teilnehmen und mit Ihrer Fachexpertise Feedback zu den Zwischenergebnissen geben.

Samuel Hartmann: Inwieweit wird eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen IT und JuristInnen auch durch die unterschiedliche Sprache beider Disziplinen eingeschränkt und wie kann diesem Problem begegnet werden?

Dr. Sebastian Selka: Ein weiterer zentraler Punkt erfolgreicher Software-Entwicklung ist ein gemeinsames Verständnis. Hier helfen vor allem eine gemeinsame, domänenspezifische Sprache, ein Glossar und der Wille, Unklarheiten beidseitig aktiv zu kommunizieren. In der Folge sollte es auch keine Scheu davor geben, entsprechendes Unwissen Kund zu tun. Am Ende hilft es, das Verstandene auch noch mal in eigenen Worten wiederzugeben (→ paraphrasieren). Das gilt sowohl für die juristische Perspektive durch die umsetzenden Personen als auch für die fachlich-technische Perspektive durch die Jurist:innen.

Samuel Hartmann: Agile Projekte zeichnen sich durch besondere Flexibilität aus, häufige Änderungen und Nachbesserungen können jedoch für gesteigerte (Rechts-)Unsicherheit sorgen und vor allem die Vertragsgestaltung erschweren. Welche Herausforderungen halten agile Software-Projekte für RechtsanwältInnen bereit, insbesondere hinsichtlich der Ausarbeitung von Verträgen?

Dr. Sebastian Selka: Am Ende und in der Idealwelt besteht ein agiles Team von Software-Entwickler:innen aus motivierten Individuen, die effizient, schnell und in einer hohen Qualität funktionierende Software liefern wollen. Vor diesem Hintergrund ist Vertrauen in die Expertise des Teams gefragt. Vertrauen bildet sich aber schwierig in Verträgen ab. Insofern ist sicherlich einer der größten Stolpersteine das Ungleichgewicht zwischen Werkverträgen, die üblicherweise mit langen und detaillierten Produktplänen, Lasten- und Pflichtenheften einhergehen und Dienstverträgen, die als sog. Time & Material ausschließlich auf geleistete Arbeit abzielen.

Samuel Hartmann: Welche Lösungen sind hierfür denkbar? Was sollte in einem agilen Vertrag in jedem Fall implementiert und was vermieden werden?

Dr. Sebastian Selka: Ich kann einen Wunsch nennen bzw. mitgeben, wie ich das bei der Symbiolab GmbH für uns handhabe. Wir arbeiten auf der Time&Material-Basis und sind immer komplett transparent was unsere Fortschritte bei der Entwicklung angeht, da wir auf sog. CI/CD (Continuous Integration/Continuous Delivery) setzen. Wir involvieren den Kunden in unsere Produkt-Entwicklung, machen gemeinsame Dailies und überzeugen am Ende mit iterativen, funktionierenden Ergebnissen. Das erzeugt Vertrauen, denn Kunden treibt die Sorge um, dass sie hochpreisige Arbeitszeit eines Software-Engineers bezahlen und dieser im Zweifel gar nichts tut und dann auch freie Zeit fakturiert wird. Wenn hingegen regelmäßig, quasi täglich, Fortschritte in der Software sichtbar sind, verfliegt diese Sorge sehr schnell. Wie sich das aber am Ende am besten vertraglich ausgestaltet, sollte besser durch die Jurist:innen beurteilt werden.

Samuel Hartmann: Sie haben E-Business studiert, in den Wirtschaftswissenschaften promoviert und sind Geschäftsführer und Gründer der Symbiolab GmbH. Wie kam Ihr Interesse für Software-Entwicklung zustande?

Dr. Sebastian Selka: Ich bin schon seitdem ich zehn Jahre alt bin mit dem Computer vertraut, hatte mit 13 Jahren meinen ersten eigenen Computer und habe mit 16 angefangen zu programmieren. Da mich aber auch seitdem ich 18 bin das Unternehmertum reizt und ich seit dem Moment auch selbstständig tätig war und damals in den Nuller Jahren Homepages für regionale Kunden gebaut hatte, konnte ich das eine mit dem anderen verbinden. Insofern sind Computer, IT und Software(-Entwicklung) ein inhärentes Interesse seit meiner Jugend.

Samuel Hartmann: Während des Jurastudiums ist IT-Recht häufig nur ein Nischenthema, welches in den Vorlesungen allenfalls mal am Rande angesprochen wird. Darüberhinausgehende Kenntnisse in der IT selbst sind dementsprechend noch seltener. Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, sich als angehender Jurist oder angehende Juristin mit IT auseinanderzusetzen?

Dr. Sebastian Selka: Digitalisierung und IT sind heutzutage überall integriert. Wir sind alle ständig online (→ Smartphones, Smartwatches, vernetzte Autos, Notebooks, …), wir machen allesamt so ziemlich alles online (→ Shopping, Dating, Banking, …) und das Thema künstlicher Intelligenz ist spätestens durch DALL-E, Stable Diffusion, ChatGPT und Bard nun auch in der breiten Bevölkerung angekommen. Man kann sich davor fürchten oder man kann das Ganze als Chance begreifen. Letzteres setzt aber voraus, dass man sich mit den Themen auseinandersetzt. Insofern gilt das für alle und jeden und somit auch für Jurist:innen. Ein Beispiel etwa, gemünzt auf die Juristerei. Sie müssen oder sollten als Jurist:innen ständig im Bilde über aktuelle Urteile Ihres Fachgebiets sein, aktuelle Gesetzesänderungen verfolgen, potentielle Diskussionen zu neuen Regularien kennen und diese Details im besten Fall für Ihre Mandanten im Hinterkopf behalten und berücksichtigen. Das ist viel Arbeit, erfordert noch mehr Zeit und im Zweifel rutscht dann auch noch ein flankierendes Urteil eines verwandten Bereiches an Ihnen vorbei. IT kann Sie hierbei unterstützen. Bearbeitungszeiten können verkürzt werden und weniger Fehler passieren. So können Sie effizienter werden und mehr Mandanten zielführend juristisch beraten. Ferner werden sich neue Felder ergeben und neue Geschäftsmodelle entstehen. Ein fundiertes Wissen darüber, wie das Ganze miteinander informationstechnisch interagiert ist da sicherlich zum Schaden derer, die sich dessen verweigern.

Samuel Hartmann: Und andersherum – Was können Software-Entwickler von JuristInnen lernen? Auf was freuen Sie sich persönlich auf dem diesjährigen Deutschen IT-Rechtstag am meisten?

Dr. Sebastian Selka: Ich weiß leider noch nicht, was Software-Entwickler:innen von Jurist:innen lernen können. Aber ich freue mich darauf diesbezüglich beim diesjährigen Deutschen IT-Rechtstag mehr zu erfahren :-).

Samuel Hartmann: Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Sebastian Selka

Dr. Sebastian Selka, Geschäftsführer Symbiolab GmbH, Berlin

Samuel Hartmann

Samuel Hartmann, HK2 Rechtsanwälte