Nach Auffassung der EU-Kommission bleibt das Potential insbesondere maschinengenerierter Daten bislang weitgehend ungenutzt…
Im Gespräch mit Marieke Luise Merkle
Matti Müller: Frau Merkle, der Untertitel Ihres Vortrags lautet „Auswirkungen des Data Act-E auf die Vertragsgestaltung“. Welche konkreten Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung hat der Data Act-E denn?
Marieke Merkle: Der Data Act-E enthält an verschiedenen Stellen Regelungen dafür, wie die Vertragsverhältnisse zwischen denjenigen, die Daten untereinander austauschen oder an der Datenerhebung beteiligt sind, auszusehen haben. Während bei manchen Vorschriften des Data Act-E die Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung offensichtlich sind – z.B. im Fall der Klauselverbote gegenüber KMUs in Art. 13 Data Act -E wirken sich andere Vorschriften – etwa die Zweckbindung eines Datenempfängers gem. Art. 6 Abs. 1 Data Act-E – mittelbar auf die Vertragsgestaltung aus.
Matti Müller: In Art. 13 des Data Act-E werden missbräuchliche Vertragsklauseln, die KMU einseitig auferlegt werden, verboten. Könnten Sie näher auf die Bedeutung dieser Regelung eingehen?
Marieke Merkle: Art. 13 Data Act-E stellt in der Fassung des Kommissionsentwurfs eine Art AGB-Recht für standardisierte Datenlizenzverträge mit KMUs dar. Individuelle Vereinbarungen werden von der Bestimmung nicht berührt. Die Klauselverbote sollen für jegliche Art von Datennutzungs- oder -lizenzverträgen gelten; der Anwendungsbereich ist insbesondere unabhängig von einem etwaigen Datenzugangsrecht. Zweck der Bestimmungen zu unfairen Vertragsklauseln ist, bestehende Machtasymmetrien zwischen den Vertragspartnern auszugleichen, die im Rahmen von Vertragsverhandlungen i.d.R. in Form von Take-it-or-leave-it-Angeboten ausgenutzt werden. Art. 13 Abs. 3 Data Act-E normiert hierfür eine Reihe von Inhalten, die stets die Einordnung einer Klausel als unfair zur Folge haben, beispielsweise die Vereinbarung eines Haftungsausschlusses für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit. Art. 13 Abs. 4 Data Act-E enthält dagegen Regelungsinhalte, bei welchen allein eine widerlegliche Vermutung der Missbräuchlichkeit besteht. Während die unfairen Vertragsklauseln als unwirksam anzusehen sind, soll der Vertrag im Übrigen von der Unwirksamkeit grundsätzlich unberührt bleiben.
Matti Müller: Welche Ziele verfolgt der Gesetzgeber mit dem Data Act-E?
Marieke Merkle: Nach Auffassung der EU-Kommission bleibt das Potential insbesondere maschinengenerierter Daten bislang weitgehend ungenutzt, da sich der relevante Datenzugang auf eine geringe Anzahl sehr großer Unternehmen konzentriert. Mit dem Data Act-E zielt die EU-Kommission auf eine gerechtere Verteilung der mit Daten verbundenen Wertschöpfung ab. Hierzu schafft der Verordnungsentwurf bestimmten privaten und öffentlichen Akteuren ein neues Recht auf Datenzugang und Datennutzung. Daneben bezweckt der Data Act-E Lock-In-Effekte im Zusammenhang mit Cloud-Providern zu verhindern sowie KMUs im Bereich der Data Economy zu stärken.
Matti Müller: Welche Kritik würden Sie an dem Data Act-E üben und welche Änderungen würden Sie vornehmen?
Marieke Merkle: Der Data Act-E versucht eine Regelung für etwas zu schaffen, dass es bis dato in vergleichbarer Form noch nicht gab. Vor diesem Hintergrund war anzunehmen, dass der erste Aufschlag der Regelung nicht gleich perfekt sein wird.
Auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes lässt der Data Act-E jedoch wesentliche Fragen offen, die entscheidend für seine Umsetzbarkeit in der Praxis sein werden. Hierzu gehört u.a. das Verhältnis von Datenzugangsansprüchen und der DS-GVO oder dem Kartellrecht. Ein Datenherausgabeverlangen des Nutzers kann mit den Schutzrechten Betroffener kollidieren oder eine Herausgabe wettbewerblich sensibler Daten zum Gegenstand haben. Eine klare Antwort, wie in diesen Fällen vorzugehen ist, liefert der Data Act-E nicht und verlagert damit die Verantwortung auf die Beteiligten. Als kritisch zu bewerten ist, dass viele der zentralen Begriffe nicht hinreichend definiert sind. Dies gilt vornehmlich für den Begriff der nutzergenerierten Daten. Welche Daten hierunter fallen – z.B. ob hiervon auch Daten erfasst werden, die außerhalb eines Produktes erhoben werden (etwa Daten, die ein Satellit bei Nutzung eines Smart Vehicle aufzeichnet), ist auf Grundlage der aktuellen Regelung nicht ersichtlich.
Matti Müller: Der Bereich des europäischen Datenrechts ist von seiner Aktualität geprägt. In den letzten Jahren sind eine Reihe neuer Gesetze in diesem Bereich verabschiedet worden. Wie fügt sich der Data Act-E in diese Gesetzessystematik ein?
Marieke Merkle: Während die DS-GVO den Schutz personenbezogener Daten betrifft, die Free-Flow-of-Data Verordnung den freien Verkehr nicht-personenbezogener Daten innerhalb der Europäischen Union und der Data Governance Act die Förderung des freiwilligen Datenaustausches, enthält der Entwurf des Data Acts echte Datenzugangsansprüche im Zusammenhang mit nutzergenerierten Daten. Hierbei handelt es sich um nicht weniger als einen Paradigmenwechsel im Bereich der Regulierung der Data Economy.
Matti Müller: Wie kann man sich der Thematik annähern, wenn man noch keine Berührungspunkte mit dem Data Act-E hatte?
Marieke Merkle: Wer einen ersten Einblick in die Regelungen des Data Act-E möchte, dem kann ich einen Aufsatz von meinem Kollegen Dr. David Bomhard und mir ans Herzen legen. Unser Beitrag in der RDi 2022, 168 liefert einen Überblick über die Bestimmungen des Data Acts-E und zeigt auf, wo noch Unklarheiten vorhanden sind und weiterer Konkretisierungsbedarf besteht.
Matti Müller: Was begeistert Sie am IT-Recht?
Marieke Merkle: Der Umstand, dass man stets mit neuen Rechtsentwicklungen und neuen Technologien zu tun hat. Mich begeistern insbesondere die Themenbereiche Data Economy und künstliche Intelligenz – hier passiert sowohl auf technischer als auch auf rechtlicher Ebene gerade sehr viel.
Weiterhin gibt es für viele Themen, die täglich auf meinem Tisch landen keine bis wenig Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften. In diesen Fällen heißt es dann sich auf sein juristisches Grundwerkzeug zu besinnen und eine Lösung zu finden. Hieran habe ich große Freude.
Matti Müller: Vielen Dank für das Interview.
Marieke Luise Merkle, Rechtsanwältin, Senior Associate, Mitglied der Practice Group Digital Business, Noerr PartGmbB, München
Matti Müller, HK2 Rechtsanwälte