Matthias Hartmann referiert auf dem 8. Deutschen IT-Rechtstag zum Thema „Regelungen im Überfluss – Kann das weg?“. Im Interview gewährt der Fachanwalt für IT-Recht vorab erste Einblicke in den Vortrag und bezieht Stellung zu Fragen nach der Überregulierung des Rechts und welche Rolle Technologien rund um Legal Tech und KI schon heute und zukünftig in der Rechtsberatung spielen.

Disclaimer: Matthias Hartmann ist Partner bei HK2 Rechtsanwälte. Das Interview führten Celine Zeck und Elisa Dittrich, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen bei HK2 Rechtsanwälte. 

Dittrich: Matthias, du bist u. a. Fachanwalt für IT-Recht und Datenschutzexperte. Was macht eine gute IT-Rechtsberatung aus? Für wie relevant hältst du IT-Lösungen und Legal Tech in diesem Zusammenhang? Inwieweit hat die Pandemie Auswirkungen auf die IT-Rechtsberatungen und welche neuen Herausforderungen gehen damit einher?

Hartmann: Ein paradoxer Effekt der Pandemie ist: Mandanten, die ich seit Jahren berate, habe ich jetzt erstmals „gesehen“. Videokonferenzen sind eine alte Technik, die erst jetzt häufiger verwendet wird. Grund: Sie funktioniert, ist überall verfügbar und einfach zu bedienen. 

Legal Tech wird nach meiner Ansicht den Rechtsmarkt weiter segmentieren. Ich wage zu behaupten, dass jährlich Millionen von Arbeitsstunden anwaltlicher Tätigkeit automatisiert werden können. Die digitale Disruption anderer Branchen hat gezeigt, dass der Prozess sehr schnell geschieht, sobald die Technik leicht verfügbar und einfach zu bedienen ist. Ist der Einsatz dann günstiger, geht der Umstieg rasant. Es kommt dann zu einer raschen Marktbereinigung, denn automatisierte Prozesse liefern häufig auch qualitativ sehr viel bessere Ergebnisse. Besser, schneller, billiger – ab dem Zeitpunkt dauert es maximal 3 Jahre bis zum Wandel. Da rettet auch das Rechtsdienstleistungsgesetz nicht.

Zeck: Um beim Thema Legal Tech zu bleiben: Die Anwaltschaft sieht sich immer wieder der Kritik ausgesetzt, Innovationen und Fortschritt rund um Legal Tech zu meiden. Wie nimmst du das war? Wie würdest du den Umgang mit Legal Tech in deinem Umfeld beschreiben?

Hartmann: Ich glaube nicht, dass die Anwaltschaft Legal Tech meidet. Vieles ist schon länger im Einsatz als die aktuellen Buzzwords. Beispiele sind Impressumsgeneratoren, Website-AGB, E-Discovery, Systeme zur Automatisierung der Due Diligence, Diktatsoftware, Arbeit mit Autotexten und Makros etc. An einem NDA-Generator habe ich vor über 15 Jahren mitgewirkt.

Wie bei allen neuen Technologien ist die Einsatzschwelle hoch, wenn die Produkte kompliziert zu bedienen sind, und sich ein Nutzen erst nach längerer Zeit einstellt, ohne dass es für den Anwender sicher ist, dass das Produkt nach dieser Zeit noch zur Verfügung steht. Wie lang dauerte es bei den Smartphones von „braucht doch niemand“ bis „geht nicht ohne“?

Und in Bezug auf UX Design stehen Produkte für die Anwaltschaft noch ganz am Anfang.

Dittrich: Am 22. April 2021 referierst du auf dem 8. Deutschen IT-Rechtstag, der unter dem Motto „IT-Rechtsberatung in der Überregulierung“ steht. Welche Forderungen hast du an den Gesetzgeber konkret und was sind hier deiner Meinung nach die wichtigsten To-Do‘s?

Hartmann: Die Kritik am Gesetzgeber ist so alt wie die Erfindung des Gesetzes als manifestierte Verhaltenserwartung. Ich denke aber, dass gerade im IT-Bereich die Unzulänglichkeit der Gesetze den Fortschritt ausbremst. Gesetzen fehlt die Klarheit. Behörden setzen sie nicht um. Sinnlose Vorschriften werden erlassen, um kleine Interessensgruppen zu schützen. Viel Aufwand wird betrieben, um mit Gesetzen Probleme zu lösen, die es gar nicht gibt – bestes Beispiel das beA.

Zeck: Also dann stell dir vor, du bist nun Gesetzgeber. Mit Blick auf Erleichterungen in der IT-Rechtsberatung, welche Regelungen würdest du sofort streichen und warum?

Hartmann: Es gibt nicht „die zentrale Norm“, die einfach nur aufgehoben werden muss, sondern zahllose Einzelvorschriften und Regelungen bremsen die digitale Wirtschaft aus. Auch ist mir natürlich klar, dass die Normen oft bitter erkämpfte Kompromisse sind, die niemand erneut durchfechten möchte. Dieses „do ut des“ der parlamentarischen Einigung führt aber oft zur übertriebenen Wirksamkeit von Partikularinteressen zu Lasten des Vernünftigen. Vereinfacht oder gestrichen werden könnten – ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit:

Informationspflichten;
das Widerrufsrecht beim E-Commerce;
Verbraucherschutzvorschriften zwischen Unternehmen (bspw. E-Commerce);
die Kostenerstattung bei Abmahnungen;
Smart Meter Regulierung;
das Leistungsschutzrecht für Verleger;
tja, der Datenschutz.

Dittrich: Nun zum europäischen Gesetzgeber: Die DSGVO gilt als Meilenstein für den Datenschutz. Welche Verbesserungen und Chancen hat die Verordnung gebracht? Inwiefern besteht noch Konkretisierungsbedarf bzw. trägt die Verordnung eher zur Überregulierung bei?

Hartmann: Inzwischen halte ich die DSGVO für einen riesigen Fehler. Es war falsch, private und öffentliche Verarbeitung in einer gemeinsamen Verordnung zu regeln. Das Verbotsprinzip ist nicht zeitgemäß. Datenvermeidung und Datensparsamkeit sind als Prinzipien für das Informationszeitalter untauglich. Die DSGVO verhindert die informationelle Selbstbestimmung durch inflationäre Einwilligungen und die Gewöhnung an uferlose Ermächtigungsgrundlagen. Unterm Strich hat die DSGVO dem Datenschutz einen Bärendienst erwiesen. Im Lärm um den Ärger über Cookies geht die Diskussion der Überwachungsmöglichkeiten des Staates unter.

Zeck: Neben deinen IT- und datenschutzrechtlichen Kompetenzen beschäftigst du dich auch mit Rechtsfragen zum Einsatz von künstlicher Intelligenz und bist Herausgeber sowie Mitautor des Fachbuchs „KI & Recht kompakt“. Im Vorwort äußerst du auch deine Bedenken darüber, dass der Gesetzgeber die Entwicklung und den Einsatz von KI noch weiter erschwert. Inwiefern ist das aktuell bereits der Fall? Wann können Regelungen einen Stillstand des technischen Fortschritts herbeirufen?

Hartmann: Ich sehe deutlich mehr Kommissionen zur Ergründung der Ethik und Regulierung von KI als zu der Frage, wie Deutschland und Europa den immensen Rückstand gegenüber den USA oder China aufzuholen gedenken. Zum Glück scheitern die Bestrebungen der Regulierung bisher noch an der Konkretisierung mangels Gegenstand.

Dittrich: Große Diskussionen in diesem Zusammenhang beziehen sich auch immer auf eine angebliche „Haftungslücke“ für Roboter und KI – Welche Ansätze sind hierbei berechtigt und welche deiner Meinung nach übertrieben?

Hartmann: Es gibt keine Haftungslücke, sondern den Trend, allgemeine Lebensrisiken zu verallgemeinern oder bestimmten Marktteilnehmern aufzuerlegen. Aber warum sollte das gerade bei Robotern erfolgen und bei anderen Unglücksfällen nicht? Schon jetzt dürfte niemand ein autonomes Fahrzeug auf die Straße bringen, das so schlecht fährt wie ein Mensch. Wer fehlerfreie Waffen herstellt, haftet auch nicht für die mit einer berechenbaren Wahrscheinlichkeit abzusehenden Rechtsgutsverletzungen. 

Wenn sich Produkte als gefährlich erweisen, ohne dass diese als fehlerhaft im Sinne des Haftungsrechts einzuordnen wären, dann könnte man für ein konkretes Produkt über eine Gefährdungshaftung nachdenken. Beispiele sind Drohnen oder Lieferroboter, die im öffentlichen Raum unterwegs sind. Aber auch hier fände ich es schön, diese Lieferroboter erst mal zu haben! Vielleicht verursachen die ja deutlich weniger Schäden?

Zeck: Von der abstrakten technologischen Innovation, der KI, nun zur Konkreten: Was hältst du als IT-Rechtsanwalt von Smart Contracts? Wie schätzt du die Chancen ein, dass sich diese in der IT-Rechtsberatung etablieren? Welche digitalen Konzepte und Lösungen wünschst du dir für die Zukunft?

Hartmann: Die Frage ist nicht, ob Smart Contracts sich etablieren, sondern wann. Für manche Bereiche gibt es die ja schon. In 10 Jahren wird nach meiner Einschätzung alles automatisiert sein, was geht. 

Mein Wunsch an die Digitalisierung wäre das Verschwinden der Verträge hinter Oberflächen, die für die jeweiligen Nutzer der Verträge Sinn machen. Niemand möchte Ziffer 16.3 des Vertrages lesen, sondern der Nutzer möchte wissen, wann er wie kündigen kann. Verträge als Verträge zu gestalten, ist eigentlich zweckwidrig. 

Ein Traum wäre es, wenn der Gesetzgeber seine Gesetze mit klaren Tatbeständen widerspruchsfrei fasste. Dafür gibt es bereits Tools. In Gerichtsverfahren könnte dann nahtlos zu den konkreten Tatbeständen der Norm vorgetragen werden. Die Gerichte müssten dann transparent über die streitigen Rechts- und Tatsachenfragen entscheiden. Das können allerdings bald schon die Roboter besser …

Zeck und Dittrich: Wir danken dir herzlich für das Interview.

RA Matthias Hartman

referiert auf dem 8. Deutschen IT-Rechtstag zum Thema „Regelungen im Überfluss – Kann das weg?“.

Das Interview führten Elisa Dittrich und Celine Zeck, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen
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