Metaverse: In greifbarer Zukunft?
Im Gespräch mit Semjon Rens
Matti Müller: Sie halten im Rahmen des 9. Deutschen IT-Rechtstages den Vortrag „Ausblick auf das Metaverse: In greifbarer Zukunft?“. Könnten Sie bitte die Idee des Metaverses skizzieren?
Semjon Rens: Unter dem Metaversum versteht man eine Reihe virtueller Räume, einschließlich immersiver 3D-Erlebnisse, die so miteinander verbunden sind, dass man sich leicht zwischen ihnen bewegen kann. Im Metaversum werden wir Freund*innen und Familie treffen, arbeiten, lernen, spielen, einkaufen, kreativ sein – und das mit dem Gefühl, präsent zu sein. Dabei spielen Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) eine wichtige Rolle. Im Metaversum können Elemente einer virtuellen Welt in die reale Welt integriert und Bestandteile der echten Welt in einer virtuellen Welt wahrgenommen werden. Als nächste Evolution des Internets gehört das Metaversum nicht Meta, sondern ist vielmehr ein offenes und kollaboratives Projekt, welches von Nutzer*innen, der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, Unternehmen, Startups sowie der Politik gemeinsam gestaltet werden soll.
Matti Müller: In welchen Punkten könnte sich der Alltag bei erfolgreicher Integration des Metaverses in die Gesellschaft konkret verändern?
Semjon Rens: Das Metaversum eröffnet sowohl Nutzer*innen, als auch Unternehmer*innen eine neue Möglichkeit der Kommunikation und Interaktion. Dabei steht der gesellschaftliche Mehrwert für Jedermann im Fokus. Neue Technologien haben keinen Selbstzweck, sondern machen das Leben der Menschen besser.
Ähnlich wie das Internet unseren Alltag verändert hat, wird auch das Metaversum unser Zusammenleben verändern. Dabei sind nicht alle möglichen Veränderungen bereits heute absehbar. Dies war auch bei dem Internet wie wir es heute kennen zu Beginn nicht der Fall. Aber dennoch gibt es bereits heute erste Anwendungsbeispiele u. a. in den Bereichen Kunst, Bildung, Industrie, Finanzen und Marketing, die zeigen, wohin die Reise gehen kann. Die Alte Nationalgalerie zeigte bis zum 20. Februar in der Ausstellung „Magische Spiegelungen“ Werke von Johann Erdmann Hummel (1769-1852). Begleitend bot ein immersives Mixed-Reality-Erlebnis völlig neue Perspektiven auf ein Hauptwerk des Malers. Im Mittelpunkt einer virtuellen Galerie stand „Die Granitschale im Berliner Lustgarten“ von 1831. Die Besucher*innen konnten einen durch das Werk inspirierten Lustgarten via VR-Headset, Smartphone oder Computer betreten und erkunden. Weitere Anwendungsbeispiele sehen wir bereits in der Berufsausbildung. Zusammen mit Lufthansa hat das Start-Up Lilium ein Programm entwickelt, um Piloten in Virtual und Augmented Reality zu trainieren. Künftig könnten Pilot*innen in ihrer Ausbildung auf eine neue Dimension bei Flugsimulationen zurückgreifen. Das Metaversum kann an dieser Stelle einen echten Mehrwert bei der Ausbildung schaffen und potenziell die Flugsicherheit erhöhen. Die künftigen Anwendungsmöglichkeiten für Lehre, Industrie und Privatnutzer*innen sind im Metaversum nahezu grenzenlos.
Neben diesen großartigen Chancen werden sich aber auch Herausforderungen für die Gesellschaft auftun. Hier ist es wichtig, dass wir uns früh damit auseinandersetzen und im Dialog mit Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft Lösungen erarbeiten.
Matti Müller: Sie arbeiten bei Meta, ehemals Facebook. Was ist Ihr Aufgabenbereich und welche Berührungspunkte haben Sie in Ihrem Berufsalltag schon mit dem Metaverse?
Semjon Rens: Wir bei Meta sind überzeugt von den Chancen und Potenzialen des Metaversums und möchten einen Beitrag zu dessen Entwicklung leisten. Im Unternehmen ziehen wir daher fachübergreifend gemeinsam an einem Strang, um diese Vision zu verwirklichen. Ganz konkret nutzt mein Team bereits Horizon Workrooms – eine virtuelle Arbeitswelt – um in Teammeetings zusammenzukommen. Wir haben festgestellt, dass dies die Effizienz von Meetings erhöht.
Als Public Policy Director für die DACH-Region beschäftigen mich auch Fragen rund um die gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Implikationen des Metaversums. Dabei spielen letztlich natürlich auch Fragen der Normen und Regulierung eine wichtige Rolle. Wir machen uns bereits heute Gedanken dazu, welche Regeln für das Metaversum gebraucht werden. Diese können und wollen wir aber nicht alleine entwickeln, sondern suchen den engen Austausch mit der Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Hierzu werden wir beispielsweise in den kommenden zwei Jahren 50 Millionen US-Dollar investieren, um ein Programm mit Schwerpunkt auf Datenschutz, Sicherheit, Integrität und wirtschaftliche Chancen sowie Inklusion auf den Weg zu bringen. Ziel dieser Bemühungen ist es, frühzeitig mögliche Herausforderungen zu identifizieren und diese gemeinsam anzugehen.
Matti Müller: Ist es Ihrer Meinung nach die größere Herausforderung die technischen Hindernisse oder mögliche Skepsis in der Gesellschaft zu überwinden?
Semjon Rens: Bis zur technologischen Verwirklichung des Metaversums werden noch mindestens 10 Jahre vergehen, aber bereits heute gibt es visionäre Entrepreneurs, die an immersiven Produkterlebnissen arbeiten. Die technologischen Ansätze für das Metaversum sind also bereits da. Jetzt gilt es die Vision des zukünftigen Internets in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess zu verwirklichen. Wir bei Meta glauben daran, dass dies nur gelingen kann, wenn wir alle mitnehmen. Sowohl die Nutzer*innen, als auch die Unternehmen, die Wissenschaft, die Zivilgesellschaft und natürlich auch die Politik.
Verständlicherweise gibt es bei disruptiven Innovationen anfänglich eine gewisse Grundskepsis in der Bevölkerung. Das war bei der Einführung des Internets nicht anders. Gleichzeitig sehen wir auch eine große Neugierde und Offenheit für Innovation. So entwickelt sich ein breit angelegtes Feld von XR-Anwendungen. Derzeit sind 29,7 % der Unternehmen auf dem Markt im Bereich Unterhaltung, Werbung und Gaming aktiv, während sich 18,8 % der Unternehmen im Bereich Bildung, Lehre und Arbeitsprozesse bewegen (Ecorys Report 2021). Zudem zeigt sich auch eine große Bereitschaft, diese neuen Technologien anzunehmen: 17 % der deutschen Internetnutzer*innen ab 16 Jahren geben an, im Jahr 2021 VR-Brillen privat genutzt zu haben; 41 % können sich vorstellen, künftig eine VR-Brille zu nutzen. Damit hat sich seit 2018 die Bereitschaft zur privaten VR-Nutzung mehr als verdoppelt (bitkom Fact Sheet: AR & VR 2021/22).
Schlussendlich kommt es auf eine andere Frage an: Bietet das Metaversum mir als Nutzer*in oder als Unternehmer*in einen echten Mehrwert? Wir bei Meta beantworten diese Frage mit einem eindeutigen Ja. Und wir sind uns sicher, dass noch in unserer Generation ein Meeting im Metaversum genauso zum Alltag gehören wird, wie ein Video-Call heute bereits ganz selbstverständlich ist.
Matti Müller: Was könnte der Einordnung des Metaverses als Zukunft des Internets entgegenstehen?
Semjon Rens: Für uns ist die Vision des Metaversums die Weiterentwicklung des mobilen Internets. Wir glauben an den Mut von Unternehmer*innen weltweit und sind davon überzeugt, dass wir gemeinsam diese Vision verwirklichen werden.
Sehen Sie, die frühe Form des Internets war ein hierarchischer Raum nach alter Medienlogik. Wenige Akteure erstellten sämtliche Inhalte. Schnell erkannten Internetnutzer*innen ihr eigenes schöpferisches Potential, um Inhalte zu gestalten. Aus Web 1.0 wurde Web 2.0: Diverse Plattformen, Anbieter*innen und Creator*innen erwuchsen im Internet. Durch dessen mobile Form stand es nahezu überall zur Verfügung. Quantensprünge in der Erforschung und Entwicklung von Extended Reality und ein wachsendes Bedürfnis an erlebbaren digitalen Räumen sind im Inbegriff, das Internet erneut grundlegend zu verändern und das allgegenwärtige mobile Internet in unsere Realität zu integrieren. So entsteht ein plattformübergreifender, immersiv erlebbarer Raum: das Metaversum.
Matti Müller: Was könnte nach dem Metaverse ein weiterer Schritt in eine voll digitalisierte Zukunft sein?
Semjon Rens: Wenn wir über das Metaversum sprechen, dann peilen wir das Jahr 2030 an. Das ist ein langer Planungshorizont. In dieser Zeit werden sich die Vorstellungen über die Beschaffenheit des Metaversums noch vielfach ändern. Gleichzeitig ist auch die Einstellung der Menschen gegenüber Technologien einem steten Wandel unterworfen. Das Metaversum wird die reale Welt mit einer digitalen Ebene verknüpfen. Das ermöglicht eine natürlichere Interaktion mit virtuellen Umgebungen, die uns völlig neu über den Begriff Digitalisierung denken lassen wird.
Matti Müller: Wie sehen die nächsten Schritte im Rahmen der Arbeit an dem Metaverse aus?
Semjon Rens: Weltweit arbeiten bereits heute hunderttausende Menschen am Metaversum, sei es an Zugangstechnologien wie Augmented/Virtual Reality, den zugehörigen Hardwarekomponenten, Themen wie Daten- und Jugendschutz und vielen weiteren Bereichen. Da es keinen Fahrplan mit klaren Zwischenzielen zum Metaversum gibt und stattdessen an vielen Punkten gleichzeitig entwickelt wird, kann ich diese Frage nur aus der Meta-Perspektive beantworten.
Für uns ist es zunächst besonders wichtig, Forschung und Entwicklung rund um das Metaversum voranzutreiben. Deswegen investieren wir massiv in die Bereiche Augmented/Virtual Reality – sowohl global, aber auch speziell in Europa. Allein in der Europäischen Union werden wir mehr als 10.000 Stellen schaffen. Denn wir sind überzeugt von der Stärke der europäischen Digitalindustrie und den vielen digitalaffinen und talentierten Europäer*innen.
Wie ich bereits erwähnte, ist es uns ein besonderes Anliegen, frühzeitig einen konstruktiven Dialog mit Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zu beginnen, um gemeinsam die jeweiligen Erwartungen an das Metaversum abzustecken und regulatorische und gesellschaftliche Leitplanken zu diskutieren. Denn nur im Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Akteure können wir das volle Potenzial des Metaverse realisieren.
Matti Müller: Vielen Dank für das Interview.
Semjon Rens, Public Policy Director DACH, Meta, Berlin
Matti Müller, HK2 Rechtsanwälte