Hass und Hetze im Internet – Grenzen der Verfolgbarkeit aus Sicht eines Strafverteidigers

Im Gespräch mit Uwe Freyschmidt, Fachanwalt für Strafrecht, Freyschmidt Frings Pananis Venn Rechtsanwälte, Berlin

Jana Freiburg: Herr Freyschmidt, Sie sind seit vielen Jahren als Strafverteidiger tätig – was hat Sie ursprünglich dazu bewegt, diesen Berufsweg einzuschlagen? Gab es einen besonderen Moment oder eine prägende Erfahrung, die Ihre Sichtweise auf das Strafverfahren und die Rolle der Verteidigung geprägt haben?

Uwe Freyschmidt: Für das Strafrecht hatte ich schon im Studium und Referendariat ein besonderes Interesse. Ich habe dann im Laufe der Jahre immer komplexere Verfahren, zunehmend mit wirtschaftsstrafrechtlichem Inhalt, bearbeitet. So ergab sich ein Erfahrungswissen, das gerade in diesem Bereich eine große Rolle spielt. Den Schritt in die anwaltliche Selbständigkeit mit dem Schwerpunkt Strafrecht/Wirtschaftsstrafrecht habe ich bis heute keinen Tag bereut.

Eine prägende Erfahrung gab es dabei nicht, eher eine Vielzahl von Erkenntnissen aus der täglichen Arbeit heraus. Es ist immer wieder motivierend zu beobachten, dass man mit einer aktiven, strategisch durchdachten Verteidigung den Mandanten und Mandantinnen wirklich helfen kann. Das bringt auf der anderen Seite die Verpflichtung mit sich, stets alle Möglichkeiten auszuschöpfen. In der Hauptverhandlung wird dies besonders relevant: Dort kann es auf jede Frage und jeden Antrag ankommen, Versäumnisse sind häufig nicht mehr heilbar, was wirklich höchste Konzentration über viele Stunden voraussetzt.

Jana Freiburg: Beim 12. IT-Rechtstag werden Sie über Hass und Hetze im Internet sprechen. Aus Ihrer Perspektive als Strafverteidiger: Welche rechtlichen Grenzen sehen Sie bei der Verfolgbarkeit solcher Delikte? Gibt es aus Ihrer Sicht eine zunehmende Herausforderung, Taten im digitalen Raum effektiv zu verfolgen?

Uwe Freyschmidt: Bekanntlich findet das wichtige Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu gehören insbesondere auch die Straftatbestände der Beleidigung und der Volksverhetzung. Will man der Verbreitung von Hate Speech im Internet wirksam entgegentreten, sollte man die Voraussetzungen und Abwägungskriterien für die Grenze zur Strafbarkeit kennen. Das ist eine komplexe Materie, mit der Verbreitung von Schlagworten ist es daher nicht getan. Ich sehe daher eine Herausforderung darin, die Debatte wieder zu versachlichen, um die strafrechtlich relevanten Fälle von den zulässigen Meinungsäußerungen abzugrenzen. Zulässige – nicht strafbare – Machtkritik ist wichtig und muss auch im Internet möglich und geschützt sein.

Jana Freiburg: Ist der aktuelle Rechtsrahmen ihrer Meinung nach ausreichend, um dem digitalen Wandel gerecht zu werden, oder sehen Sie hier dringenden Reformbedarf? Wie schätzen Sie die Entwicklung der Rechtsprechung in Bezug auf Delikte im Internet ein? Haben Sie den Eindruck, dass die Gesetzgebung mit den schnellen technologischen Entwicklungen und den damit in Bezug stehenden Straftaten mithält?

Uwe Freyschmidt: Ich halte die aktuell vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten, Hate Speech von straflosen Meinungsäußerungen abzugrenzen und wirksam zu verfolgen, für grundsätzlich ausreichend. Gesetzgeberische Initiativen, etwa die bereits erfolgte Ausweitung der hohen Strafdrohung des § 188 StGB auf die kommunale Ebene, hinterlassen den zwiespältigen Eindruck, dass die zunehmende öffentliche Fokussierung auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern bei den Bürgerinnen und Bürgern zu der Befürchtung führen könnte, personalisierte Machtkritik nicht ohne die erhebliche Gefahr einschneidender gerichtlicher Sanktionen ausüben zu können. Das wäre für unser demokratisches Gemeinwesen ein unerwünschter Nebeneffekt, den es zu vermeiden gilt.

Andererseits lässt sich aus der Zunahme strafrechtlich relevanter Äußerungen in den sozialen Netzwerken die berechtigte Forderung ableiten, diese Fälle effektiv zu verfolgen. Dazu bedarf es, wie dargelegt, keiner weiteren Initiativen des Gesetzgebers, sondern einer leistungsfähigen behördlichen Infrastruktur. Die Einrichtung und der Ausbau von Spezialabteilungen bei der Polizei und den Staatsanwaltschaften scheint mir der richtige Ansatz zu sein.

Jana Freiburg: Wenn wir unseren Blick etwas öffnen: Wie bewerten Sie auf europäischer Ebene die im Digtital Service Act vorgesehene Regelung, durch den Einsatz vertrauenswürdiger Hinweisgeber (Trusted Flagger) gegen Hassrede vorzugehen?

Uwe Freyschmidt: Um die Rechtswidrigkeit von Informationen beurteilen zu können, schließt die gesetzlich geforderte Sachkompetenz der Trusted Flagger auch die erforderlichen juristischen Fachkenntnisse ein. Aus den oben genannten Gründen sind für die erforderliche Bewertung strafrechtlicher Inhalte vertiefte Kenntnisse insbesondere im Bereich der Äußerungsdelikte zu fordern. Dies sollte bei der Auswahl eine entscheidende Rolle spielen, wobei die entsprechenden Kriterien transparent zu handhaben sind. Auch hier gilt, dass nicht jede hasserfüllte Meinungsäußerung im Internet letztlich als strafrechtlich zu bewerten ist und die Trusted Flagger fachlich in der Lage sein müssen, dies in der gebotenen kurzen Prüfungszeit sicher beurteilen zu können.

Jana Freiburg: Als Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins e.V. und im Vorstand des Deutschen Anwaltvereins sind Sie verbandstechnisch sehr aktiv. Als Studentin werfe ich gerne auch immer einen Blick in die Zukunft. Haben Sie Vorschläge, wie man auch für die jüngeren Generationen die Vereinsarbeit und das Verbandswesen interessanter und attraktiver gestalten kann?

Uwe Freyschmidt: Mein Eindruck ist, dass neben den bereits vorhandenen, durchaus tragfähigen Netzwerken ein breiter Mix aus rechtspolitischen und fachlich interessanten Veranstaltungen nicht nur für Anwältinnen und Anwälte, sondern auch schon für Referendarinnen und Referendare und Studentinnen und Studenten interessant sein könnte. Wir leben in unruhigen Zeiten, beinahe täglich stellen sich Fragen, wie bestimmte Entwicklungen nicht nur politisch, sondern auch rechtlich zu bewerten sind. Dabei können die örtlichen Anwaltsvereine und der Deutsche Anwaltverein hilfreiche Unterstützung leisten. Außerdem ist es für die Vereine wichtig, auch der wachsenden Zahl angestellter Anwältinnen und Anwälte ein interessantes Angebot zu machen. Für die, die sich engagieren, gibt es – wie eigentlich immer – viel zu tun. Und glauben Sie mir: Das kann sogar Spaß machen und auch für den eigenen Weg äußerst nützlich sein.

Jana Freiburg: Abschließend würde mich interessieren, wie Sie persönlich mit dem öffentlichen und medialen Druck umgehen, der oft mit hochkarätigen Fällen einhergeht. Wie schaffen Sie es, in diesen aufgeladenen Situationen die nötige Distanz zu wahren und dennoch engagiert für die Rechte Ihrer Mandanten einzutreten?

Uwe Freyschmidt: Ich frage mich bei medialen Anfragen immer, ob ein Statement dem Mandanten/der Mandantin tatsächlich nutzen könnte. Ist dies nicht der Fall, schweige ich.
„Aufgeladene“ Situationen im Gerichtssaal versuche ich durch gezielte Vorbereitung vorherzusehen. Auf der fachlichen Ebene darf es auch mal laut werden, auf persönliche Angriffe sollte man jedoch bei allem Engagement möglichst verzichten.

Jana Freiburg: Vielen Dank für Ihre Antworten und Einblicke! Ich wünsche Ihnen viel Freude und einen guten Austausch auf dem 12. Deutschen IT-Rechtstag!

Lea Stegemann

Uwe Freyschmidt, Fachanwalt für Strafrecht, Freyschmidt Frings Pananis Venn Rechtsanwälte, Berlin

Jana Freiburg

Jana Freiburg, Studentische Mitarbeiterin bei HK2 Rechtsanwälte